Betreutes Trinken
Theke, unter den Armbeugen, in denen man unweigerlich zwischenzeitlich landet, locker zehn Grad wärmer. Keine Sauna mehr, sondern eher Dampfbad mit Eunuchenbetreuung.
Hoffentlich ist das Konzert bald zu Ende.
Zu den vielen Absonderlichkeiten des »Dead Horst«gehört nämlich die Unmöglichkeit, das Bühnenlicht und die Klimaanlage gleichzeitig laufen zu lassen. Gerade habe ich ein paar Spritzer Bier aus der tanzenden Menge abbekommen, und ich könnte schwören, es hat gezischt, als sie auf meinen Unterarm trafen.
Bitte hört auf zu spielen, Jungs.
»This is our last song forrrr tonight, and we want to dedicate it to our new friend!«, grölt der Bassist von der Bühne, und entledigt sich seiner Unterhose. Zum Glück hängt sein Musikinstrument tief: »Our new Russian friend, we met in the backyard tonight, and I am gonna KILL HIM !«
Die Fans aus Hamburg johlen, der Schlagzeuger zählt an, und der Sänger fällt von der Bühne.
» KILL HIM «, fordert auch die aufgepeitschte Menge vor der Bühne, und ich sehe mich besorgt nach Vladimir um. Er ist nirgends zu sehen.
Als Marie meinen Blick auffängt, deutet sie nur ungerührt auf den Merchandise-Stand, und zu meiner Beruhigung erkenne ich, dass auf den zum Verkauf stehenden Devotionalien zu lesen ist » KILL HIM TOUR 2011«.
Ich atme innerlich auf. Das Motto scheint nicht persönlich auf Vladimir gemünzt zu sein – höchst unwahrscheinlich, dass die nackten Finnen ihre T-Shirts, Poster und Buttons erst zwischen unfreiwilliger Outdoor-Dusche und Konzertbeginn gestaltet haben.
Ich schlängele mich durch die hinteren Reihen, um den Merchandise-Stand genauer unter die Lupe zu nehmen. Interessantes Sortiment, wie ich nun erkenne: Neben dem üblichen Schnickschnack wie Herrenoberbekleidung, Tonträgern und Buttons bietet die Band dort auch Handtücher mit aufgesticktem Logo feil, und – Dildos?
»Ach so – schwule Rocker«, murmle ich, und ein Blick zurück auf die Tanzfläche bestätigt meinen Verdacht. Sämtliche Bandmitglieder sind von der Bühne gesprungen, um wild mit den angereisten Hamburgern durcheinander zu knutschen. Ich seufze. Alles wieder gut.
Das Konzert ist zu Ende, die Klimaanlage springt an, und die Damen, die sich zuvor entkleidet hatten, ziehen überflüssigerweise ihre T-Shirts wieder über die hochroten Köpfe.
Die, zumindest aus weiblicher Sicht, leicht peinliche Stille wird dadurch verstärkt, dass keine Musik läuft. Das DJ -Pult ist unbesetzt.
»Ich feuere Toddy!«, kreischt Raffi. »Wo ist der Penner?«
Er hat offenkundig verpennt.
Marie zuckt mit den Schultern und wirft die erste CD an, die ihr in die Finger gerät. Leider handelt es sich um die berüchtigte Compilation »Letzte Runde«, die sonst erst gegen sieben Uhr morgens aufgelegt wird, um die letzten Gäste zu vergraulen:
» Guten Morgen, guten Morgen, guten Morgen Sonnenschein … «, trällert Nana Mouskouri in unerträglicher Lautstärke aus den Boxen. Aber der finnisch-hamburgerischen Freundschaft scheint es zu gefallen. Angeführt von Eimerkopf startet eine Vollkörperkontaktpolonaise Richtung Ausgang. Selbst die ehemals zeigefreudigen Mädchen reihen sich munter ein, Raffi wird zum zweiten Mal in dieser Nacht einfach umgewalzt.
Zurück im Laden bleiben allein eine schockierte Marie, ein platter Raffi und eine leicht trunkene Katja, die mit Nana um die Wette schreit: »… nein, du darfst nicht traurig sein … «
Raffi springt zum CD -Player, entreißt diesem seine verdorbene Frucht. Er feuert den Silberling Richtung Merchandise-Stand, wo sie unter dem Tisch landet.
»Hey, danke, aber die hab’ ich schon«, meldet sich der Tisch zu Wort. Ich mache einen erschrockenen Satz zur Seite, und der Tisch rumpelt hin und her. Wie in einer ganz schlechten Zaubershow erscheint zunächst ein langer, nackter Arm auf der Tischdecke, der einen drahtigen Körper nach oben zieht. Ich glaube es nicht.
»Hallo Leute, ich bin der Fahrer von den Jungs«, verbeugt sich der Mann Richtung Theke. Mich hat er noch nicht bemerkt, obwohl ich direkt hinter ihm stehe. Ich glaube es immer noch nicht.
»Und, bist du auch so’n schwuler Finne?«, erkundigt sich Marie interessiert, und obwohl ich nur den Hinterkopf des Mannes sehe, weiß ich, dass er grinst. Ich könnte sogar genau beschreiben, wie er grinst, denn ich weiß, dass sein linker Eckzahn etwas absteht, was sein sonst perfektes, fast bedrohlich weißes Gebiss noch schöner macht: »Also, ich bin kein Finne und
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