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Betreutes Trinken

Betreutes Trinken

Titel: Betreutes Trinken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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trägt.
    Zwischen den Songs gibt der Sänger seine Deutschkenntnisse zum besten, sie beschränken sich auf den Satz: »Natternblut fürrrr alle«, und obgleich er mit »alle« wohl nur seine Mitmusikanten meinte, trinkt jetzt die ganze Bar den hauseigenen Schnaps, dessen Rezeptur ein streng gehütetes Geheimnis ist. Soweit ich das nach zehnjähriger Erfahrung beurteilen kann, basiert Natternblut auf einem Gemisch aus aufgeweichten Lakritzschnecken und Doppelkorn. Geschundene Zungen behaupten, dass auch mindestens zehn Tropfen Benzin pro Liter beigemischt werden. Das Gesöff müsste aber in jedem Fall deutlicher als Biowaffe gekennzeichnet sein, als die krude Werbung es auf dem selbstgebastelten Flaschenetikett bisher vermag: »Natternblut ist nicht gut«.
    Natternblut hat auch zwei der anwesenden Damen dazu gebracht, sich oben herum bis auf den BH freizumachen. Soweit also alles normal an einem Samstagabend um halb zwölf im »Dead Horst«. Fast normal. Irgendwo in diesem Bild hat sich doch ein ganz mieser, kleiner Fehler eingeschlichen. Ich versuche, ihn zu finden.
    Die Band spielt, die Fans toben, das Bier fließt, die halbnackten Damen sitzen kerzengerade auf ihren Barhockern und erinnern mich dabei an eine Zeichnung von F. K. Wächter, die untertitelt ist mit dem schönen Satz: »Adele zeigt ihren Brüsten die Männer.« So weit, so normal.
    Allein – die Männer im Laden interessiert das nicht. Ich möchte betonen, dass wir uns nicht in einem schlecht getarnten Swinger-Club befinden, und auch, dass ich vor allem deshalb gerne seit einer Dekade hier auftauche, »weil Frau auch mal alleine hier hingehen kann, ohne angemacht zu werden«, wie meine Chefin Margret es wohl formulieren würde.
    Und es gibt durchaus Dienstage oder den ein oder anderen Mittwoch, an dem hier ein fast höfisches Ritual herrscht, was das Kontaktieren der holden Weiblichkeit angeht.
    Wenn unter der Woche ein Konzert gegeben wird, wissen die Männer genau, wie ein respektabler Abend zu gestalten ist: Zuerst wird das komplette Konzert lang durchgetanzt, gejohlt, gepfiffen, gebrüllt und gestampft, dann gibt es eine Nachbesprechung in Kleingruppen, für die sportlich Interessierten vielleicht noch eine Runde Tischfußball.
    Erst danach darf sich der Damenwelt ernsthaft balzend zugewandt werden. Natürlich gibt es immer Ausrutscher, begangen durch Frischlinge, die sich nicht an den Knigge halten. Die Abstrafung für ungebührliches Benehmen scheint im ersten Moment kompliziert, aber als Faustregel gilt: Wer mit seiner mitgebrachten Freundin während des Konzerts herumknutscht, wird von seinen Kumpels hämisch an die Wand getanzt, wer ein fremdes Weibchen vor der Zeit angrabbelt, wird von Raffi freundlich aber bestimmt vor die Tür gesetzt. Wer es wagen sollte, einer Barkeeperin auf den Hintern zu patschen, wird nur noch bestimmt vor die Tür gesetzt. Seine Zähne werden ihm nachgeschickt. Man hält sich eben zurück, bis keiner mehr geradeaus gucken kann.
    Alles andere gilt als gierig, sprich: An einem Wochentag könnten wir Mädels hier auch alle bis zwölf Uhr unbehelligt nackt herumlaufen, denn bis dahin hat der Rock ’n’ Roll die Männer gepackt. Und wer danach noch auf die Pirsch geht verfügt entweder über zuviel Tagesfreizeit oder hat die Musik nicht verstanden.
    Aber heute ist Samstag, und meine Welt gerät ins Wanken.
    An einem Samstag, an dem ich ein Jubiläum feiere, möchte ich mich, Katja und jede andere Frau gefälligst von einer Heerschar von unbekannten Galanen umringt sehen, die sich darum balgen, mir ein Bier ausgeben zu dürfen. An einem Samstag will ich unemanzipiert schlechte Komplimente entgegennehmen und vergessen, dass ich mein Fahrrad klauen lassen muss, mit problemfreien Jugendlichen arbeite und immer noch so weit von einem Parkettboden entfernt bin wie mit zwanzig.
    An einem Samstag möchte ich nicht auf vier fast nackte Brüste schauen, deren Trägerinnen mittlerweile unsicher aus der sprichwörtlichen Wäsche schauen und kurz davor sind, sich in eine Cocktailbar in die Innenstadt zu flüchten.
    Was ist heute nur los? Katja hat sich wieder mit Marie hinter der Theke verschanzt, die beiden reden miteinander, plaudern, als ob sie sich leiden könnten. Super, haben sie sich ja den optimalen Zeitpunkt ausgesucht, um sich zu verbünden. Ich fühle mich ausgeschlossen, weil zwischen mir und meinen Freundinnen eine unüberwindbare Wand aus Holz, Kerlen und Dunst steht.
    Es herrschen geschätzte vierzig Grad an der

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