Betreutes Trinken
verkündet mir Ludolf die morgige Schlagzeile flüsternd, Raffi tritt aus der Tür auf die Straße. Er trägt einen zerfetzten Seidenkimono und Puschelpantoletten in Bärentatzenform. Vom Herrscher der Nacht zum Hofnarr des Halbdunkels in sieben Sekunden – hätte nicht gedacht, dass ich in meinem Alter noch so schnell desillusioniert werden könnte.
»Wer issn das? Dein Sherpa?«, erkundigt sich Raffi, dabei deutet er mit der linken Tatze auf Ludi. Die Hände braucht er, um sich eine Zigarette zu drehen.
»Das ist Ludolf. Einer meiner Jugendlichen«, erkläre ich, und Raffi lässt den Tabakbeutel sinken. »Ludolf? Krass. Ich meine jetzt wegen diesen Typen vom Schrottplatz, kennt ihr, oder?«
Ludi lächelt Raffi zuckersüß an: »Ja, kenn ich, und weißte was, Alter? Du bist der Erste, der mich darauf anspricht.«
Raffi zieht eine Augenbraue hoch, in höchster Annerkennung für seine eigene Kombinationsgabe.
»Nenn’ ihn einfach Ludi«, schlage ich Raffi vor, der sich aber nun, wahrscheinlich durch den ersten Nikotinkick des Tages, zu weiteren geistigen Höhenflügen herausgefordert fühlt: »Na, bestimmt nenne ich ihn nicht ›Dolfi‹, ha. Coole Brille auch, Alter.«
Ludi nickt gequält, ich spüre, dass er am liebsten sofort abhauen würde.
»Komm, Ludi, ich zeig’ dir die Kneipe«, bestimme ich und zerre ihn an Raffi vorbei in den dunklen Raum, »es gibt sogar einen Kicker … und eine Theke … Barhocker … Kabel.«
Maklerin wäre also garantiert auch eine berufliche Herausforderung für mich. Leichte Panik spiegelt sich in Ludis Augen: »Doki, soll das irgendein Test sein, so eine Art Schocktherapie? Willst du mir zeigen, wo es endet, wenn ich weiter rauche und trinke?«
»Du trinkst?«, rufe ich überrascht, und Raffi kichert: »Ich will doch hoffen, dass der Junge trinkt in einer Kneipe. In meiner Kneipe vor allem.«
»Ach du Scheiße, du bist der Chef hier?«, Ludi schüttelt sich angewidert.
Auf meiner imaginären Statistikliste notiere ich diesen Ausflug schon mal unter »Konfrontationstherapie«, was viel besser klingt als »Förderung und Anstiftung von Gewalttaten seitens der Betreuerin«.
Raffi baut sich kerzengerade vor Ludi auf, dank seiner Puschelslipper sind sie genau gleich groß: »Ja Bürschchen, das ist mein Laden. Und wenn in ein paar Stunden die Band loslegt, wirst du mir auf Knien danken, dass du hier sein durftest.«
Ludi mustert Raffi unerschrocken von oben bis unten und fragt dann: »Ey, weißt du eigentlich, wie lächerlich du aussiehst? Sind das Häschen da auf deinem Bademantel? Rosa Häschen? Willst du gleich noch gegen ein paar Wattebäuschchen boxen, oder zieht deine Mutter dich jeden Tag so an?«
Mische niemals Berufliches mit Privatem, es endet doch nur damit, dass man ein bis zwei Leichen im Bierkeller verstecken muss.
Raffi pumpt sich noch einmal auf, aber als Ludi nicht einmal mit der Wimper zuckt, schnalzt Raffi mit der Zunge, dreht sich zu mir und spricht: »Der Bursche gefällt mir. Erinnert mich an mich selbst in dem Alter, verdammt große Schnauze.«
Wieder zu Ludi gewandt fügt er hinzu: »Zu deiner Information: Es sind keine Häschen. Sondern Bärchen. Passend zu den Slippern.«
Raffis Zinken berührt fast Ludis Stupsnäschen, doch der weicht keinen Millimeter zurück. So könnte ich mir einen Jungenprobetag bei der Fremdenlegion vorstellen.
»Kannste kickern?«, erkundigt sich Raffi nach diesem Test hoffnungsvoll, und Ludi grient: »Tragen coole Kerle Bärchenslipper?«
Die beiden flitzen zum Kickertisch, entlocken ihm durch gezielte Tritte die gewünschte Anzahl Bälle und legen los. Sie handeln rauchend die rudimentären Regeln aus, beschimpfen sich schon nach Sekunden wüst, und ich bin Luft für sie.
So fühlen sich also Tierschützer, wenn sie erfolgreich ein paar junge Waschbären ausgewildert haben. Ein wenig stolz, aber auch mit wehem Herzen und dem unguten Gefühl, dass die niedlichen Rabauken innerhalb kürzester Zeit die Nachbarschaft auseinandernehmen werden.
»Zum Glück können sie sich nicht vermehren«, beruhige ich mich selbst und schleppe die Einkäufe in die Küche.
Jemand hat hier aufgeräumt. Und zwei Töpfe hergebracht. Sogar die Messer sind gewetzt, und die Bierkisten stehen so, dass man sich tatsächlich um die eigene Achse drehen kann.
Sofort fange ich damit an, die Zwiebeln zu häuten. Ich will nicht, dass irgendwer reinkommt und denkt, ich würde aus einem anderen Grund weinen. Aber tatsächlich bin ich tief
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