Betreutes Trinken
reinlassen. Auf der anderen Seite – scheiß der Hund drauf, fangen wir eben später an.«
Ich bin ein wenig besorgt um Marie. Offensichtlich darf man sie mit gar nichts anderem außer frittierten Kartoffeln füttern, denn das hat eine spontane Persönlichkeitsspaltung zur Folge. Ihre Körperspannung ist dahin, dafür liegen ihre Haare glatt am Kopf, und es scheint Marie völlig gleich zu sein, wann oder ob hier heute ein Konzert, eine Treibjagd oder eine Tupper-Party stattfindet.
Ich habe ein Pasta-Anästhetikum entwickelt, per Zufall. Allerdings muss ich wohl noch ein paar Versuchreihen ansetzen, denn die bisher zu beobachtenden Nebenwirkungen bei Überdosierung sind doch unschön. Mal abgesehen davon, dass alle männlichen Versuchspersonen nicht mal mehr aufrecht sitzen können, ist eine entspannte Marie eine Sache, aber eine Thekengöttin sollte nicht ihren obersten Hosenknopf öffnen und dabei laut rülpsend verkünden:
»Boah, lecker war’s!«
Immerhin konnte keiner außer mir das mit dem Hosenknopf sehen, also fällt der Chor der Liegenden übergangslos in den Lobgesang ein.
»Jau, saugeiles Futter!«
»Echt, selten so gut auf Tour gegessen!«
»Willst du mich heiraten, Köchin?«
»Ich will vor allem, dass euer Sänger sich nicht ernsthaft verletzt hat«, murmle ich, denn ich sehe mich mittlerweile schon vor Gericht, angeklagt wegen Körperverletzung durch Plastikpommesgabeln. Zumindest Anstachelung zur Selbstverstümmelung, herbeigeführt durch vorheriges Aushungern des Opfers. Etwas zieht an meinem Hosenbein, es ist der Bassist der Hauptband, wenn ich mich recht entsinne. Jedenfalls hat er bis zur Fütterung im Bandbus geschlafen, ein ziemlich sicheres Indiz. Jetzt will er mich aufmuntern: »Hey du, mach dir keine Sorgen, wegen Ray, dem Spinner. Der ist immer so pingelig, ich meine: Ich habe mal eine Tüte Chips gegessen, ganz allein. Da bin ich gar nicht von gestorben. Das kann ein Magen schon vertragen.«
Süß, dass mich ein fast zahnloser Saitenzupfer trösten will, aber trotzdem wage ich zu behaupten: »Ähem, also, ich glaube, jeder von uns hat schon mal eine Tüte Chips gegessen.«
Der Bassmann schüttelt den Kopf, und fügt seiner vorherigen Aussage ein wichtiges Detail hinzu: »Oh, nein, nein, ich meine: Ich habe die ganzen Chips gegessen, und dann die Tüte. Sie glitzerte so schön.«
Seine Bandkollegen stöhnen und bewerfen ihn mit allem, was sie zu fassen kriegen, ohne ihre Liegeposition dabei aufgeben zu müssen. Ein Regen aus Kippenschachteln, Aufklebern und Schuhen prasselt auf den Mann mit dem Stahlmagen herab. Er nimmt es sportlich, schaut sich einen der Aufkleber näher an, verzichtet aber, von ihm zu kosten.
»Kann ich einen Schnaps haben?«, erkundigt sich der Drummer. Marie schüttelt den Kopf: »Kein harter Alkohol vor dem Auftritt.«
»Welcher Auftritt, unser Sänger ist hinüber!«, mault es zurück, aber bevor Marie antworten kann, hören wir ein Auto auf der Straße scharf bremsen. Und Sekunden später steht Toddy hinter der Theke, er schleift Ray, den Pommesgabelfresser hinter sich her. Für jemanden, der gerade aus dem Krankenhaus kommt, trägt dieser eine erstaunlich gesunde Gesichtsfarbe zur Schau.
Toddy schaut Ray streng an, wie der Fußballtrainer der F-Jugend, der das Kameradenschwein des Tages vorführt. Ray guckt, als wollte er am liebsten im Boden versinken, was Toddy natürlich nur in seiner Rolle bestärkt: »Nun, Ray, hast du uns vielleicht etwas zu sagen? Vielleicht eine Entschuldigung?«
»Tschuldigung«, nuschelt Ray, bemüht, niemanden Spezielles anzusehen.
»Wie war das?«
Toddy klingt dermaßen erzürnt, dass die übrigen Bandmitglieder sich dazu angehalten fühlen, Haltung anzunehmen. Wie ein paar Untote im ersten Lehrjahr hangeln sie sich an der Bar empor und blicken ihren Sänger erwartungsvoll an. Der gibt bockig zu Protokoll:
»Entschuldigung, dass ich Alarm gemacht habe, Leute. Ich habe die Pommesgabel wiedergefunden. Komplett. In meinem T-Shirt.«
Alle kichern, außer Toddy. »Hast du uns sonst noch etwas zu sagen, Ray?«
Toddy sollte Direktor im Jugendknast werden, oder wenigstens niemals Vater.
»Ja, ich möchte mich bei der Köchin entschuldigen, dass ich sie verklagen wollte.«
»Angenommen«, murmle ich, aber Toddy ist noch nicht fertig mit dem Mann. Er schüttelt ihn, dass dessen Halsschmuck nur so klimpert: »Und vielleicht möchtest Du dich noch bei jemandem entschuldigen? Vielleicht bei dem, der dich in seiner Freizeit ins
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