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Betreutes Trinken

Betreutes Trinken

Titel: Betreutes Trinken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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einen kompletten Burnout. Sie machen noch ein paar Untersuchungen, aber klar ist: Er soll in so eine Kurklinik für ein paar Wochen.«
    Um ihre grausame Botschaft zu unterstreichen, entfernt sie auch noch die Nikotinsonde aus meinem Mund. Was reden die beiden für einen Schwachsinn? Um einen Burnout zu erleiden, braucht man doch einen Maßanzug. Oder ein Büro, dessen Belegschaft sich auf Mobbing spezialisiert hat. Raffi war nur – kaputt.
    Mein erster Impuls ist, diese beiden Quacksalber zu feuern. Sie aus meiner Wohnung zu schmeißen, mich in mein Bett zu legen und vier Jahre zu schlafen. Aber sie lassen mich nicht.
    »Doki, das hast du doch kommen sehen, oder? Ich meine, wie lange hält jemand so einen Lebensstil durch? Das schafft doch keiner«, sagt Katja leise und setzt sich auf meinen Schoß. Vielleicht, weil ich nur zwei Stühle besitze, vielleicht, damit ich nicht aufstehe, um meinen Schlafplan in die Tat umzusetzen.
    Es hilft. Wenn man durch einen wohlgeformten Hintern fixiert wird, kann aus unfassbarer Müdigkeit und extremer Überforderung tatsächlich so etwas wie Einsicht wachsen: »Doch. Warum nicht?«
    Katja streichelt mir über den Kopf, Gunnar weiter meine Hand. Wir sind wieder im Kindermann-Familien-Theater gelandet, zweiter Akt, Rückblick: Ich bin jetzt acht Jahre alt, und meine Eltern haben mir gerade eröffnet, dass sie unseren Hund haben einschläfern lassen, nur weil er uralt, blind und inkontinent war. Einer der wenigen Momente, an dem meine Erziehungsberechtigten an einem Strang gezogen haben. Schonungslos schleuderten sie uns Kindern damals die harte Wahrheit entgegen, statt wie gute Eltern das Märchen vom Bauernhof zu erzählen, auf dem Flocki es nun viel besser haben würde und frei auf den Wiesen herumtollen darf. Okay, meine Eltern hatten nicht wirklich die Wahl, zu lügen – wir lebten schon auf einem Bauernhof.
    »Jetzt müssen wir unserem Raffi nur noch verklickern, dass er das durchziehen muss. Wenn er sich nicht für ein paar Wochen schont, war’s das für ihn«, erinnert mich Katja mit schneidender Stimme daran, dass ich jetzt erwachsen bin und die Dinge richtig einzuordnen weiß: »Wäre es dann nicht humaner, wenn wir ihn für immer schlafen lassen?« Katja beendet ihre Streicheleinheiten abrupt:
    »Äh, Doki, wir hatten gerade versucht, dir zu erklären, dass diese Narkolepsie-Geschichte Mumpitz war.«
    Ist es dieser schulmeisterliche Tonfall oder diese wiederholte Nutzung des Wortes »wir« in ihrer Rede, das mich so patzig werden lässt?
    »Ja Katja, und ich versuche dir zu erklären, dass Raffi lieber stirbt, als seine Kneipe im Stich zu lassen! Wenn er bisher nicht umgefallen ist, dann doch nur, weil der Laden sein Leben ist, oder? Ich schwöre euch, Raffi steht heute Abend wieder an der Tür, jawohl!«
    »Ja, da hast du vollkommen recht, genau das befürchte ich auch, dass er da steht …«
    »… bis er wieder umkippt. Für immer«, ergänzt Gunnar überflüssigerweise.
    Katja legt ihren Kopf an meine Schulter und seufzt: »Und genau an dem Punkt waren wir angelangt, als du reingekommen bist, Hasi.«
    Hasi dankt für das Update. Hasi kennt sogar den Fachbegriff für das, was für den heutigen Abend auf dem Plan steht: »Also, wir wollen heute Abend so eine Art Intervention veranstalten, für Raffi, ja? Im ›Horst‹? Wie soll das laufen?«
    Eine interessante Vorstellung, etwa so, als würde eine Rotte Schweine sich in der Suhle wälzen und die größten Wildsäue dem kleinen Ferkel dabei eintrichtern, dass es sich nicht mehr dreckig machen soll. Mit der Begründung, dass es sich den kurzen Spaß sparen kann, weil es sowieso zu Hackfleisch verarbeitet wird.
    Katja antwortet zögerlich: »Wir wissen es nicht so genau. Vladimir meinte, wir sollten sicherheitshalber alle um halb acht da sein, damit wir uns absprechen können, vorher. Auf jeden Fall ist er dafür, dass Raffi schnellstens eingeliefert werden muss.«
    »Wann habt ihr das alles besprochen?« Katja krault ihr Hasi hinter den Löffeln: »Es ist vier Uhr, mein Herz. Also höchste Zeit, dass du zu den Lebenden zurückkehrst. Wenn du meine Meinung hören willst: Du stinkst.«
    Katja glaubt also, sie müsste die Intervention schon mal an mir üben, bevor es heute Abend ernst wird. Dabei hat sie sofort den typischen Anfängerfehler begangen: Man darf keinerlei Vorwürfe oder Schuldzuweisungen erheben, damit erreicht man nur eine klare Abwehrreaktion: »Du stinkst auch.«
    »Ich weiß, deswegen fahre ich jetzt auch

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