Betrogen
Nachtsichtgerät Mühe gehabt, einen derart präzisen Schuss zu setzen, ganz zu schweigen von einem zweiten, nachdem das Glas gesplittert war. AuÃerdem ist es unwahrscheinlich, dass sie â Melina, Hart und Hennings  â sich im Dunkeln getroffen haben. Also hat irgendeiner den Lampenstecker gezogen, und das war garantiert nicht Hennings. AuÃerdem hat der sich auch nicht mit Papiertüchern abgeputzt.«
Tobias grübelte einen Moment darüber nach. »Das Fenster zerbirst, Hennings wird erschossen, einer von ihnen löscht das Licht, dann sorgen sie für Ablenkung, damit sie heil aus dem Gebäude kommen.«
Lawson sagte: »Sieht so aus. Ein paar Leute erinnern sich
noch, sie drauÃen gesehen zu haben, aber danach â Zero. Wie vom Erdboden verschluckt.«
»Keiner geht an sein Handy.«
»Sie haben hier in der Garage ein Auto stehen lassen. Im Kofferraum lagen zwei Reisetaschen. Eine davon gehört offensichtlich Hart, die andere ihr. Mit nagelneuer Kleidung. Die Etiketten hingen noch dran.« Er erklärte Tobias, sie hätten bei Neimanâs eine persönliche Modeberaterin ermittelt, die gestand, Melina Lloyd diese Kleidungsstücke am frühen Vormittag geliefert zu haben. »Ich habe ihr die Jacke beschrieben, die wir neben Hennings Leiche gefunden haben. Genau die hatte sie geschickt. Mittlerweile sieht sie nicht mehr so nagelneu aus.«
»Sie reisen mit leichtem Gepäck.«
»Inzwischen noch leichter als vorher. Wir sind dem Wagen auf der Spur, mit dem sie hier ankamen. Er gehört nicht ihr. Den von Hart hat die Stadt vom Parkplatz eines Nachtclubs abschleppen lassen.«
Tobias fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Ihre erste Durchsuchung der Waters-Klinik hatte nichts Wesentliches über Dale Gordon ergeben. Lediglich, dass er das Wissen und die Gelegenheit gehabt hätte, an Spermaproben herumzubasteln, aber keinen Beweis, dass er es tatsächlich getan hatte. Tobias hatte Patterson beauftragt, die Samenspender zusammenzutrommeln.
Bei dieser Aufgabe verzog Patterson das Gesicht. »Ich muss doch nicht auch noch zuschauen, wenn die sich einen runterholen, oder?«
Tobias seufzte. »Die Proben werden in der Klinik unter medizinischer Beobachtung gesammelt. Sie müssen lediglich Kontakt mit den Spendern aufnehmen und sie dorthin bringen. In Ordnung?«
»Jawohl, Sir«, hatte der junge Agent sichtlich erleichtert gesagt.
»Hatte er irgendwas bei sich?«, wollte Tobias nun wissen,
wobei er auf die Bahre mit Hennings Leichnam wies, die gerade in den Aufzug gerollt wurde.
»Nichts, nicht einmal einen Parkschein. Zuletzt hat er mit seiner Kreditkarte den Anhänger gekauft, den er Gillian â alias Melina â in der Nacht vor dem Mord gegeben hat.«
»He, Lawson.« Einer der übrigen Ermittler steckte den Kopf durch die Tür und winkte ihn in die Wohnung.
Tobias wäre gefolgt, doch sein Handy klingelte.
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Lucy Myrick kam sich vor, als wäre sie in diesem fensterlosen Raum mit den hässlichen Wänden geboren worden. Mittlerweile hatte die normale Kotzfarbe einen rosa Schimmer, was aber nur an den blutunterlaufenen Augen lag, mit denen sie sie betrachtete.
Sie hatte sich nur von Fast Food ernährt. Ohne ihre gewohnte Tagesdosis Ballaststoffe war sie inzwischen ganz aufgebläht. Von innen kratzte das Koffein an ihrer Haut, während ihr Kopf sich wegen Schlafmangels beduselt anfühlte. Sie brauchte dringend eine Dusche.
»Und doch bedaure ich nicht, was ich aus Liebe tat, was ich aus Liebe tat«, trällerte sie.
Aus Liebe zu ihrer Arbeit und zu Tobias hatte sie zwei Tage lang ohne Pause geschuftet, immer auf der Suche nach dem Bindeglied zwischen den Lloyd-Zwillingen, Dale Gordon und den Andersons. Erst vor kurzem hatte Tobias einen weiteren Namen in diese Mixtur geworfen: Jem Hennings, weiÃ, männlich, geboren am 10. Februar 1960. So stand es wenigstens auf seinem Führerschein, der erst vor elf Monaten in Texas ausgestellt worden war. Einen Meter achtzig groÃ, 85 Kilo schwer.
So weit, so gut.
Allerdings war er bei der Sozialversicherung nicht unter der Nummer aufgeführt, die er der Firma angegeben hatte, bei der er derzeit â bis heute Abend â beschäftigt war. Auch auf einer Steuererklärung war diese Versicherungsnummer nie aufgetaucht.
»Etwas ist faul im Staate Dänemark«, sinnierte Lucy laut, dann war es aber
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