Betrogen
Besuch.
Aber als ich volljährig wurde, fanden seine Besuche auffallend selten statt. Er versuchte, seine private Charterfirma buchstäblich in die Höhe zu bringen, und sagte, er könne nur schwer weg, und seiâs auch nur ein paar Tage. Natürlich fand er immer Zeit, nach Las Vegas zu fahren.
Einmal schlug meine Mutter vor, ich solle während der Sommerferien nach Dallas fahren und ein paar Wochen bei ihm verbringen. Wahrscheinlich musste sie ihm dafür die Pistole auf die Brust setzen, denn er lud mich tatsächlich ein, und ich fuhr hin.
Mittlerweile hatte er reihenweise Freundinnen, aber die aktuelle wohnte bei ihm. Natürlich hegte ich insgeheim den Traum aller Kinder aus zerbrochenen Ehen und wartete auf ein Wunder, das meine Eltern wieder zusammenbringen würde. Die Neue â wie immer sie hieÃ, Betsy, Becky oder Betty â war mir zutiefst zuwider.
Zu ihrer Verteidigung muss ich sagen, dass ich mich wie ein Scheusal benommen habe. Ich war ungefähr dreizehn und sehr von mir eingenommen. Arrogant, sarkastisch. Eines nachmittags wurde sie sauer, weil ich meine FüÃe auf den Couchtisch
gelegt hatte, obwohl sie mich schon mehrmals gebeten hatte, das zu lassen. Als Pax heimkam, schimpfte und meckerte sie und sagte: âºSchön, seine Mutter ist Indianerin, trotzdem hätte sie ihm, um Himmels willen, wenigstens ein paar Manieren beibringen können.
Da habâ ich rot gesehen. âºHaltâs Maul!â¹, habe ich gebrüllt und Pax dabei Hilfe suchend angeschaut. âºSag duâs ihr. Sag ihr, sie soll sich nicht über meine Mutter das Maul zerreiÃen.â¹ Aber er meinte lediglich Schulter zuckend: âºNa ja, Chris, sie ist Indianerin. â¹
Und da begriff ich, dass Schluss war mit dem stolzen Präsentieren vor seinen Freunden. Ich wurde nicht mehr vorgeführt wie vor all den Jahren während der Flugschau. In der Schule war ich ein Sportstar, stand auf der Ehrentafel, war Klassensprecher und Pfadfinder, aber in seinem Haus gab es kein einziges Foto von mir. Offensichtlich wollte er nicht an die Existenz seiner Frau und seines Sohnes erinnert werden.
Also habe ich ihnen erklärt, sie könnten mich mal, habe meine Sachen gepackt und bin noch am selben Abend abgehauen. Stunden lang habe ich mich im Busbahnhof herumgetrieben, bis ich einen fand, der nach Westen fuhr. Die ganzen elfhundert Kilometer habe ich mir geschworen, ihn genauso zu verleugnen, wie er mich verleugnet hat. Sogar meinen Namen lieà ich offiziell in den Mädchennamen meiner Mutter umwandeln. Mit ihm wollte ich nichts zu tun haben. Und willâs noch immer nicht. Heute Nacht war ich verzweifelt, sonst hätte ich ihn nie und nimmer um einen Gefallen gebeten.«
Melina hatte still zugehört, ohne Kommentare oder lahme Platitüden, was er nur missbilligt hätte. Um ihre Reaktion auf die Geschichte abzuschätzen, schaute er zu ihr hinüber. Während seines Monologs hatte sie keine Miene verzogen und sich nicht bewegt. Jetzt holte sie stockend Luft, atmete aus, schluckte.
»Und damals hast du ihn das letzte Mal gesehen?«, fragte sie weich. »Damals, als du sein Haus verlassen hast?«
Er nickte. »Er hat später noch mehrmals versucht, mich anzurufen, aber ich wollte nicht mit ihm sprechen. Ein paar Jahre lang hat er Weihnachtsgeschenke geschickt, aber als sie ungeöffnet zurückkamen, gab erâs auf. Zum Abschluss der High School bekam ich hundert Dollar. Die behielt ich, weil ich das Geld fürs College brauchte. Aber seither gab es keinerlei persönlichen Kontakt zwischen uns.«
»Deine Mutter hat nie mehr geheiratet?«
Er lachte kurz auf. »Als sie starb, liebte sie ihn noch immer. Kannst du dir das vorstellen? Vermutlich hat sie ihm bis zu ihrem Tod heimlich über mich berichtet.«
»Er hat dich sofort wieder erkannt.«
»Er hat einen Fernseher.«
»Er hat deine Karriere verfolgt.«
»Vermutlich.«
»Ich weià es.«
Er warf ihr einen scharfen Blick zu.
»Mitten auf seinem Schreibtisch lag ein Zeitungsausschnitt über deinen letzten Flug«, erzählte sie ihm mit ruhiger Stimme. »Ich fand es rührend, dass ein Ex-Kumpel so stolz auf seinen inzwischen berühmten Freund ist, dass er einen Zeitungsartikel ausgeschnitten hat. Ich habe dazu nichts gesagt, weil ich ihn nicht verlegen machen wollte. Jetzt gibt das Wissen, dass Pax dein Vater ist, diesem Andenken noch mehr
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