Betrogen
Sollte seine Aussage zur Aufklärung des Verbrechens beitragen können, hätte dies auch in meiner Kanzlei genügt.«
»Moment mal«, sagte Lawson.
Chief konnte es dem Kommissar nicht verdenken, dass er Birchman bremste. Das hier waren Lawsons Arena und sein Termin, dessen Verlauf er nach eigenem Gutdünken zu gestalten plante. Er würde sich von keinem noch so anmaÃenden Rechtsanwalt einschüchtern lassen, der vermutlich an einem einzigen Fall mehr verdiente als der Kommissar in einem Jahr.
Lawson rollte mit den Schultern und dehnte seine Sakkosäume bis zum Platzen. »Fest steht, Mr. Birchman, dass noch nicht alle vorgestellt wurden.«
»Wie bitte?«
Chief war genauso verwirrt wie sein Anwalt, womit auch seine widerwillige Bewunderung für Lawson schwand. »Sie belieben in Rätseln zu sprechen, Lawson, nicht wahr? Würden
Sie oder irgendjemand «, fügte er mit einem raschen Blick auf Melina hinzu, »mir erklären, warum ich für die Ermittlung eine wesentliche Rolle spiele?«
»Ich denke, Sie beide sollten sich bekannt machen.« Ohne Chief aus den Augen zu lassen, deutete Lawson mit einer Kopfbewegung auf Melina.
Chiefs Blicke wanderten vom Kommissar zu ihr, was sie mit unnahbarer Miene erwiderte, ohne dabei auch nur einen Hauch ihrer Gedanken preiszugeben. Er hätte eine Million Kröten gegeben, um zu erfahren, was hinter diesen grauen Augen vorging.
Dann schaute er wieder den Kommissar an und sagte zunehmend verwirrt: »Melina und ich sind uns gestern Abend begegnet.«
»Nein, sind Sie nicht.« Chief öffnete protestierend den Mund, aber Lawson, der das Ganze offensichtlich diebisch genoss, kam ihm mit erhobener Hand zuvor. »Die Frau, die Sie gestern Abend getroffen haben, war Gillian.«
Mehrere Momente vergingen, ehe diese Worte eindrangen, und selbst dann konnte er sich noch keinen Reim darauf machen. »Gillian? Nein, Herr Kommissar. Ich war mit Melina zusammen.« Sein Blick suchte ihre Bestätigung. »Sag es ihm.«
Einen Augenblick hielt sie seinem unverwandten Blick stand, dann schüttelte sie langsam den Kopf.
Da begriff er. Endlich fügten sich sämtliche abfälligen Andeutungen Lawsons und Melinas unerklärlich zurückhaltendes Benehmen ihm gegenüber zu einem logischen Ganzen. Und er spürte, wie ihm der Unterkiefer herunterklappte. Er betrachtete ihr Gesicht, ihren Mund, ihre Haare, ihre Figur, schaute ihr tief in die Augen und war überzeugt, dass dies die Frau war, mit der er die Nacht verbracht hatte. »Das warst du«, erklärte er mit heiserer Stimme. »Du warst das.«
»Es war Gillian«, sagte sie leise, als ob sie nur mit ihm redete.
Er glaubte es nicht. Das konnte einfach nicht wahr sein. Die
Frau, die ihn jetzt ansah, war die Frau, die â die â Wie eine Flutwelle brach die Erinnerung über ihn herein. In einem einzigen Augenblick konnte er sich an jedes Lächeln erinnern, an jeden Seufzer, jede Miene und Nuance, an jede Berührung. Diese Frau konnte er mit keiner anderen verwechseln. Unmöglich.
Sie stand auf und kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. »Colonel Hart, ich bin Melina Lloyd. Ich wurde gestern Abend aufgehalten und konnte Sie nicht begleiten. Stattdessen ist meine Schwester gekommen.«
Er starrte ihre Hand an, als wüsste er nicht, was er damit tun sollte. Endlich hatte er sich so weit gefasst, dass er ihr seinerseits die Hand hinhielt. Verdammt, sie fühlte sich völlig gleich an: dieselbe Haut, gleich groÃ, und passte genau in seine. »Ich glaubâs nicht«, sagte er, ohne zu merken, dass er laut gesprochen hatte. »Diese Ãhnlichkeit ist unheimlich.«
Sie lächelte. »Das sagte man uns seit dem Tag unserer Geburt.«
»Aber Ihre Stimme, das â«
»Auch unsere Stimmen konnte niemand auseinander halten.«
Völlig perplex starrte er sie weiter an. Haare, Augen, Lippen, alles war gleich, nur dass sie gestern Abend geschminkt gewesen war. Oder besser gesagt, Gillian war es gewesen.
Gillian.
Die man heute Morgen ermordet aufgefunden hatte.
Er schnappte schmerzhaft nach Luft. »Sie ist tot?«
Ihre Kopie nickte traurig. »Ich kannâs auch nicht glauben, aber so ist es.«
Plötzlich war alles klar. Jetzt begriff er, warum ihn Lawson befragen wollte. Er war einer der letzten Menschen, der Gillian Lloyd lebend gesehen hatte, vielleicht sogar der letzte. Mit Ausnahme
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