Betrogen
dass er sie umbringen würde?« Sie entriss ihm ihre Hand und stand auf. »Entschuldige mich.«
»Jetzt habe ich dich verärgert.«
»Ich bin nicht verärgert, sondern restlos sauer.«
»Melina â«
»Für mich ist ihr Tod noch zu neu, Jem, um mir Kritik über sie anzuhören.«
Ernüchtert fuhr er sich mit den Fingern durch die Haare. »Du hast ja Recht, du hast ja Recht. Es tut mir Leid. Ich weià doch, dass du dir selbst Vorwürfe machst. An diesen wunden Punkt hätte ich nicht rühren sollen.«
»Ich muss hier raus.«
»Wohin gehst du? Du kannst nicht weg. Es hieÃ, wir sollten hier auf Lawson warten.«
»Ich verlasse das Gebäude nicht. Ich gehe nur auf die Toilette.«
»Ich komme mit.«
»Nein«, sagte sie und dirigierte ihn mit einer Handbewegung wieder auf seinen Stuhl. »Bleib hier. Falls Lawson kommt, sag ihm, dass ich sofort wieder da bin.«
»Bist du sicher, dass dir nichts fehlt?«
»Mir fehlt nichts.«
Natürlich war das genaue Gegenteil der Fall. In der Toilette beugte sie sich vornüber, stützte die Ellbogen auf den Waschbeckenrand und versuchte, die höllischen Kopfschmerzen, die sie nach dem Weinkrampf unter der Dusche bekommen hatte, durch eine Stirnmassage loszuwerden.
Mehrere Minuten später kam eine Polizistin herein. »Ms. Lloyd?«
Sie richtete sich auf und drehte sich um.
»Tut mir Leid, Sie zu stören, aber Kommissar Lawson wollte Sie wissen lassen, dass er da ist. Sie warten, bis Sie fertig sind.«
»Bin schon unterwegs.«
»Alles in Ordnung?«
Sie nickte. »Danke.«
»Wenn nötig, lassen Sie sich noch ein paar Minuten Zeit.«
»Geht schon.« Ein paar Minuten mehr oder weniger machten keinen Unterschied. Mit einem matten gespielten Lächeln sammelte sie ihre Handtasche ein und ging. Am Trinkwasserspender blieb sie stehen, um zwei Schmerztabletten aus einem Döschen zu holen, das sie unten in ihrer Handtasche verstaut
hatte. AnschlieÃend beugte sie sich über den Spender und spülte sie hinunter.
Als sie sich umdrehte, sah sie sich Christopher Hart gegenüber, der nur wenige Schritte von ihr entfernt stand. »Hi.«
»Hallo.«
Sein halbherziges mitfühlendes Lächeln war nur für sie bestimmt. Als er auf sie zutrat, hielt ihn mittendrin ein Mann mit einem Klippboard auf. »Colonel Hart? Corporal Crow.« Sie schüttelten sich die Hände. »Habe gehört, Sie würden heute hereinschauen. Bin auch zum Teil Indianer. Choctaw. Könnte ich, bitte, ein Autogramm für meinen Junior bekommen? Er ist neun und ganz verrückt auf Raumfahrt. Ich meine damit, dass er sich wirklich voll und ganz dafür interessiert.«
»Ich schaue später bei Ihnen vorbei, Corporal, in Ordnung? Bevor ich gehe. Momentan komme ich schon zu spät zu einem Termin mit Kommissar Lawson.«
»Oh, na klar. Entschuldigung, dass â Sie wissen schon, dass ich gestört habe.«
»Macht nichts. Nach unserem Termin gebe ich Ihnen gerne ein Autogramm für Ihren Sohn.«
Verlegen schlurfte der Mann davon.
Mit einem verdrieÃlichen Schulterzucken wandte sich Chief wieder zu ihr. »Tut mir wirklich Leid, aber manchmal suchen sich die Leute den falschen Zeitpunkt aus.«
Mit zwei groÃen Schritten war er bei ihr, und das so nahe, dass sie den Geruch nach frischer Herbstluft und Sonnenschein riechen konnte, der von seiner schwarzen Lederjacke aufstieg. Er hatte die Welt von drauÃen mitgebracht. Noch ehe sie begriff, was er vorhatte, strich er ihr mit dem Daumen übers Kinn.
Instinktiv riss sie den Kopf zurück.
»Du hast gekleckert«, sagte er, wobei er ihr den Wassertropfen auf seiner Daumenkuppe zeigte. »Melina, ich â« Mehrere Sekunden schaute er sie nicht an, dann wanderte sein Blick wieder zu ihr zurück. »Lieber Gott, ich weià nicht, was ich zu dir sagen soll. Das mit deiner Schwester tut mir Leid.«
»Danke.« Sie hätte es dabei bewenden lassen, aber er fuhr mit tiefer erregender Stimme fort:
»Hättest du dir nach der letzten Nacht je träumen lassen, dass unser zweites Rendezvous auf einer Polizeistation stattfinden würde?« Verblüfft schüttelte er den Kopf. »Ich kapiere nicht, was hier abläuft. Ich habe keine Ahnung, warum du diesen Kommissar auf meine Spur geschickt hast, was ich mit allem zu tun habe. Bis es so weit ist,
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