Betrügen lernen
der Haut die Mücken weg, Clara mich.
Bunte Reihe
Sie findet, dass er nett ist, das schon. Und dass er spannend und unterhaltsam erzählen kann. Sie mag seinen Humor, und viele Frauen würden ihn sogar als attraktiv bezeichnen. Die dunklen Haare sind noch voll und genau die richtige Spur ungebändigt. Kein graues Strähnchen ist zu sehen. Und er kann sehr spitzbübisch lächeln. Eigentlich stimmt alles. Trotzdem hat Clara das Gefühl, dass Alex sich schon lange nicht mehr für sie interessiert. Warum sonst hat er für seine Affen deutlich mehr Zeit und Aufmerksamkeit übrig als für sie? Auf die ist er auch nach vielen Jahren noch neugierig – aber auf Clara? Alex möchte die Ehe nur noch vollziehen – und das so oft wie möglich, aber an ihr arbeiten, das möchte er nicht mehr.
Gerade hat Clara Miriam und Rebecca in den Kindergarten gebracht. Die Zwillinge wollten erst nicht, weil sie wussten, dass ihre Mutter an diesem Vormittag freihat. Doch als sie ihre Freunde Ben und Luis im Kindergarten gesehen haben, vergessen sie ihre Mutter sofort.
Clara sitzt wieder am Frühstückstisch, sie will es sich noch mal schön machen, erst nachmittags beginnt ihr Dienst in der Klinik. Milchkaffee, Croissants, Käsebrötchen, gerade hat sie ihr Frühstücksei geköpft. In der Zei tung wird in einer großen Anzeige für ein Seminar gewor ben: »Sind Sie noch verliebt in den eigenen Partner – oder leben Sie nur noch aneinander vorbei? Erwischt – tun Sie was dagegen! So halten Sie Ihre Beziehung frisch.«
Clara ist skeptisch, ein »Flirt- und Beziehungstrainer« bietet den Kurs an. Eine Probedoppelstunde ist umsonst, und bei Gefallen sind fünf weitere zu je 90 Euro im Angebot. »Investieren Sie in Ihre Liebe – das zahlt sich aus«, steht noch in der Anzeige. Das klingt ziemlich halbseiden, so, als ob sich der Referent selbst nicht sicher sei, wie viele Leute kommen. Das wird so ein aufgeblasener Wichtigtuer sein, denkt sie.
Clara reißt die Seite trotzdem heraus. Die Veranstaltung findet an einem Donnerstag in drei Wochen statt. Das ist sowieso ihr freier Abend, und Alex muss auf die Kinder aufpassen. Sie kann ja mal vorbeischauen. Unverbindlich. Auch wenn es wahrscheinlich Quatsch ist und ein paar Stunden gemeinsame Paartherapie lohnender wären. Mit ihrer Ehe geht das so jedenfalls nicht weiter. Ein, zwei Jahre noch, höchstens, dann werden sie sich angiften und hassen, wenn nicht endlich etwas passiert. Frisch ist ihre Beziehung schon lange nicht mehr. Eher so verdörrt wie die Topfpflanzen in Alex’ Institut. Vielleicht sollte sie sich jetzt schon von ihm trennen. Andererseits – die Kinder.
Weglaufen wird er nicht. Das traut Alex sich nicht, da ist sich Clara sicher. Dazu ist er viel zu abhängig von ihr und zu unsicher, auch wenn er immer den großen Freigeist mimt, wenn andere dabei sind. Und er hängt ihr ja auch ständig am Rockzipfel. Dauernd will er ihre Nähe. Er braucht Streicheleinheiten, Aufmerksamkeit und Zärtlich keit. Und ständig diese Sucht nach Bestätigung und Anerkennung. Aufrichtiges Interesse für sie bringt er hingegen längst nicht mehr auf. Sie sind nur noch eine planende Funktionseinheit, die Kinder versorgt, Geld ranschafft, Einkäufe erledigt. Jeder stoffwechselt lustlos vor sich hin.
Ihrer Meinung nach sollten Langeweile und Lustlosigkeit endlich in den Reigen der großen Volksleiden eingemeindet werden. Würde man die Stimmungsschwan kungen in der Ehe von Clara und Alex aufzeichnen, käme wahrscheinlich ein Nulllinien-EKG heraus. Leidenschaft empfindet er bestimmt nicht mehr für sie, das ist ihr Eindruck. Die Hoffnung auf gelegentliche Triebabfuhr ist es vermutlich, die ihn trotzdem regelmäßig zu ihr treibt. Er denkt nur noch an seinen Unterleib, statt die Beziehung inhaltlich wieder auf Touren zu bringen. Können sich Männer nicht endlich mal um die wesentlichen Dinge im Leben kümmern?
Am Wochenende haben sie wieder keine Zeit, über ihre Ehe zu reden. Alex hat das Gefühl, dass er seine Mutter mal wieder besuchen muss, ein Pflichttermin. Freitagabend fahren sie zu ihr. Fast 800 Kilometer quer durch die Republik, obwohl die Kinder gar nichts von der Oma haben, weil sie zu der Zeit bei Claras Eltern sind.
Das Telefon klingelt. Wieder ist es Dorothee. Clara sollte demnächst einen anderen Klingelton für Doro thees Nummer einspeichern, dann ist sie wenigstens vorgewarnt.
»Du wirst es nicht glauben, Sophie hat sich getrennt«, poltert Dorothee sofort los. »Sie hat Ludger
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