Betrügen lernen
daher eine weitere Technik für die Verbesserung unserer Beziehung ausgedacht. Ich berühre vorsichtig ihren Oberschenkel, wenn sie schläft. Dafür muss ich allerdings erst eine bestimmte Stelle finden. Habe ich aber den richtigen Punkt erwischt, reagiert ihr Bein ein bisschen so wie ein Kuhhals, wenn ein paar Mücken oder Fliegen darauf sitzen und die Wiederkäuer plötzlich rhythmisch mit dem Halsmuskel zucken. Erst kurz, dann noch mal, schließlich mehrfach hintereinander. Kühe können sich ja schlecht am Hals kratzen. Bei der Kuh fliegen meistens die Mücken weg, wenn sie zuckt.
Von Clara erhoffe ich mir eine andere Reaktion, und die könnte so gehen: Sie zuckt erst am Bein, dann ergreift die Bewegung auch ihre anderen Körperteile. Es ist wie in diesem Kinderlied: »Ins Wasser fällt ein Stein, ganz heimlich still und leise. Und ist er auch noch klein, er zieht doch große Kreise.« So ungefähr stelle ich mir das im Idealfall vor. Es scheint sich um einen wunderbaren Automatismus des autonomen Nervensystems zu handeln, der nicht mehr zu stoppen ist, wenn er einmal in Gang gesetzt wurde. Man liest ja immer wieder von Triggerpunkten für erogene Zonen. Man muss den Zauberort nur finden – und die Welt fängt an zu schwingen. Wenn ich ihr Bein vorsichtig berühre, zuckt es jedenfalls gelegentlich ganz kurz. Das ist ein Anfang.
Es ist schon weit nach Mitternacht. Sie ist endlich eingeschlafen. Das ist das Signal. Jetzt ist es so weit. Ich habe eine Weile auf ihre Atemzüge gelauscht, die mittlerweile beruhigend tief und regelmäßig klingen. Langsam setze ich meine Hand in Bewegung. Ich schiebe sie in ihre Richtung, taste mich langsam weiter vor und überquere die Besucherritze zwischen den beiden Matratzen. Jetzt ist meine Hand unter ihrer warmen Bettdecke. Sie atmet plötzlich flacher, ich halte inne, verhalte mich mucksmäuschenstill, wie ein Räuber, der vom Wachpersonal überrascht zu werden droht. Ich zähle leise vor mich hin. Keine Schäfchen, ich will ja nicht einschlafen, nur Zahlen.
Nachdem ich bei 30 angekommen bin, kann es weitergehen. Inzwischen ist ihr Atem wieder etwas tiefer und ruhiger geworden, das lässt hoffen. Ich spüre die Wärme ihres Körpers, je näher ich ihm komme. Jetzt sind es nur noch wenige Millimeter. Die erste Berührung ist entscheidend für den weiteren Verlauf, jetzt steht es auf der Kippe. Ich darf sie nicht zu spitzfingrig anfassen, aber auch nicht zu breitflächig. Und es darf sie auf keinen Fall kitzeln. Manchmal dreht sie sich sonst sofort weg und hüllt sich so tief in ihre Decke ein, dass sie wie in einem Schlafsack auf den Seitenteilen des Plumeaus liegt und nicht mehr ohne größere Entfesselungskünste zu erreichen ist.
Ihr Körper spricht sehr unterschiedlich auf meine spontanen Berührungen im Schlaf an. An Schultern und Armen reagiert sie auf die Tastversuche so, als ob sie gekitzelt würde. Das ist nicht gut. Außerdem liegen Schultern und Arme zu weit vom eigentlichen Zielort entfernt. Das Gesicht reagiert ebenfalls überempfindlich. Berühre ich sie dort, ist sie sofort wach – dann läuft garantiert nichts mehr. Anfangs habe ich es gelegentlich an ihrem Bauch probiert, aber der ist auch nicht geeignet für meine Zwecke. Offenbar sind in der Bauchhaut zu viele Nervenenden verborgen, die registrieren, was sich auf der Bauchdecke abspielt. Man darf ihre Reaktionsschnelligkeit im Schlaf nicht unterschätzen.
Optimal geeignet sind ihre Beine. Die Außenseite ihrer Oberschenkel ist das Ziel. Nachdem ich es schon mehr mals erfolglos probiert habe, versuche ich nunmehr mög lichst sanft auf ihrem Oberschenkel zu landen. Ich setze dazu aber nicht im 90-Grad-Winkel auf, sondern mit zwei, drei Fingern schräg wie ein Flugzeug auf der Landebahn. Ob oben, unten oder in der Mitte am Bein, ist egal. An der Außenseite der Oberschenkel scheint es eine besonders sensible Zone zu geben. Durch leichtes Massieren ihrer Beinmuskeln an dieser Stelle wird das zarte Gewebe zwischen Knie und Hüfte ein wenig hin und her geschoben.
»Ich bekomme schon Druckstellen an den Beinen«, herrscht sie mich plötzlich an. »Lass das endlich, es nervt.«
Und dann vergräbt sie sich gereizt unter ihrer Decke, rollt sich darin ein und zurrt die Seiten unter ihrem Körper fest wie ein Bergsteiger im Biwak auf 6 000 Metern Höhe. Sie hat zwar nicht reagiert, wie ich es ersehnt habe, aber in der eindeutigen Abwehrbewegung gleicht sie doch dem Verhalten der Kuh: Die scheucht mit einem Zucken
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