Betrügen lernen
Verständnis und nicht die geile Hatz auf den Nächstbesten. Clara bleibt wie betäubt sitzen inmitten der Welle des Applauses, den Stein berg mit ein paar Bescheidenheitsgesten über sich ergehen lässt. Sie bleibt auch dann noch sitzen, als die anderen aus der Reihe schon an ihr vorbeidrängen und dem Referenten oder dem Ausgang zustreben.
Als sie etwas irritiert dann doch als eine der Letzten die Hörsaalstufen hinaufgeht und sich kurz nach ihm umschaut, blickt ihr Raffael Steinberg direkt in die Augen. Dreist lächelnd ruft er ihr hinterher: »Du willst es doch auch!«
Versuchskaninchen
Meine Karriere als Spermatograf begann im Alter von 17 Jahren. Ich hatte erst dicke Backen, dann bekam ich dicke Eier. Ich hatte mir eine heftige Mumpsinfektion geholt, weil meine impfskeptischen Eltern damals jede medizinische Hilfe, die nicht in Vollmondnächten aus einem Kräutersud gewonnen worden war, für ein ausgemachtes Werk des Teufels hielten.
Ich wurde krank bis über beide Ohren. Eine Lungenentzündung kam leider auch hinzu. Ich konnte kaum noch atmen wegen der schleimbildenden Bakterien, die meine Bronchien verstopften. Ich konnte kaum noch reden, weil sich meine Backen anfühlten, als hätten dort zwei Golfbälle den Ehrgeiz entwickelt, so groß wie Basketbälle zu werden. Und ich konnte kaum noch laufen, weil meine Hoden es schon mindestens auf Golfballgröße gebracht hatten.
In solchen heiklen Momenten ist man als Patient für eine behutsame Ansprache des Arztes besonders emp fänglich. Der Doktor sagte also in bestechender Deutlich keit zu mir: »Tja, junger Mann, dumme Geschichte. Vielleicht werden Sie niemals Kinder bekommen können.« Dann machte er Pause, Pause, Pause und fuhr fort: »Aber verhüten sollten Sie zur Sicherheit natürlich trotzdem.«
Von da an musste ich regelmäßig Spermaproben abgeben. Für die Wissenschaft. Aus meinen Ergüssen wurde herausgelesen, wie beweglich meine Spermien noch waren. Immer wenn ich mit der Herstellung des Produkts beschäftigt war und die Chose kommen sah, dachte ich, dass sie ja erstaunlich schnell unterwegs waren. Aber, wie sagen die Fußballer im Interview nach dem Spiel immer: Meine Leistung müssen andere beurteilen.
Genau diese Beurteilung durch andere war ein Prob lem. Ich hatte Schwierigkeiten damit, meine Proben zu ge winnen, weil ich mir dabei vorstellte, wie irgendeine Laborangestellte das Produkt später unter die Lupe nehmen, also unter dem Mikroskop begutachten würde. Nachdem die medizinisch-technische Assistentin, die offenbar die Untersuchungen vornahm, die Probe manchmal sogar persönlich entgegennahm und mich schelmisch anlächelte, war ich völlig verwirrt. Es ging dann zwar trotzdem, aber die ärztliche Prognose verbesserte sich kaum.
Im Laufe meiner weiteren Spermienproduktion erwiesen sich die kleinen Burschen überraschenderweise dann doch als weitaus flinker und zäher, als die Medizin sich das vorgestellt hatte. Und obwohl ich überhaupt nicht damit gerechnet hatte, bekamen wir sofort unsere Zwillingsmädchen, kaum dass Clara und ich nicht mehr verhüteten.
Dabei hatte ich darauf gehofft, dass die lange zurück liegende Mumpsinfektion das Ihre dazu beitragen würde, dass Clara nicht so schnell schwanger werden würde und wir lange würden üben müssen. Aber ich hatte mich geirrt. Die verbliebenen intakten Spermien schienen sich gehörig am Riemen zu reißen und alles zu geben, um sich nicht anmerken zu lassen, dass einige ihrer Kumpel nicht mehr ganz auf der Höhe waren. Ich fand das erfreulich, aber Clara kam nicht so gut damit zurecht.
»Du musst was tun«, sagt sie, während ich mal wieder abends im Bett vergeblich versuche, sie zu verführen. »So geht das nicht weiter.«
Wollte sie mich zu einem Therapeuten schicken?
»Wenn ich jedes Mal Angst haben muss, schwanger zu werden, kann ich nicht mehr mit dir schlafen«, sagt sie. »Und Kondome sind ja nun für uns beide keine Freude.«
So selten, wie wir miteinander schlafen, besteht rein statistisch gesehen schon keinerlei Gefahr mehr, dass sie schwanger wird, denke ich. Das ist rechnerisch völlig unwahrscheinlich, Mumps hin oder her. Aber das sage ich ihr natürlich nicht, die Sache muss ja nicht noch komplizierter werden.
»Und die Pille will ich auch nicht mehr nehmen mit Ende 30, das Risiko ist mir viel zu groß«, sagt Clara.
Ich nicke nur, sage erst mal nichts, denn es ist erfahrungsgemäß nicht gut, Clara in ihren Erwägungen zu unterbrechen.
Dann kommt die
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