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Betrügen lernen

Betrügen lernen

Titel: Betrügen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Bartens
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Blick treffen sich erneut. Heraus fordernd, denkt sie, aber nicht unangenehm. Er hält stand, sie hält stand, bis sie sich ein Lächeln nicht mehr verkneifen kann.
    Es ist wie bei diesem Kinderspiel, bei dem der gewinnt, der am längsten schauen kann, ohne zu blinzeln. Bei diesem Mann mag sie sich ausnahmsweise nicht vorstellen, wie er in nur wenigen Jahren mit Erektionsstörungen in einem Klinikbett vor ihr liegt im hinten offenen Flügelhemd. Sonst hilft ihr diese Fantasie immer, wenn sich ein Mann besonders vor ihr aufplustert und sie ihn dann auf seine grundsätzlichen Ängste reduziert.
    »Ich muss mich gleich korrigieren«, sagt Raffael Steinberg, und er wird leise und sanft in der Stimme. »Und dass man sich korrigieren kann und Fehler eingestehen, das ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine gelingende Beziehung, merkt euch das schon mal.«
    Oje, ein Zwangsduzer, das mag Clara überhaupt nicht.
    »Denn natürlich gibt es auch monogame Tiere. Bei Vögeln ist Treue beispielsweise sehr verbreitet, obwohl ihr Name anderes nahelegt«, fährt Raffael Steinberg fort.
    Billige Witze macht er auch noch, denkt Clara und hat innerlich bereits ihre Sachen gepackt. Sie muss nur noch den richtigen Moment abwarten, um sich ohne viel Aufhebens aus dem Hörsaal zu schleichen.
    »Aber in der Natur ist Monogamie eben manchmal eine Notwendigkeit, ohne die eine Art nicht überleben würde. Wenn beispielsweise beide Elterntiere für die Aufzucht des Nachwuchses gebraucht werden, dann findet man auch treue Partner und eine enge Bindung«, sagt der Referent. »Aber kriegt das die Mutter allein mit der Aufzucht hin, oder sind die Tiere sowieso Nestflüchter, die kaum auf elterliche Hege und Pflege angewiesen sind, dann geht es munter durcheinander, und die Tiere sind ausnahmslos polygam. Sie paaren sich mit dem, der ihnen gefällt oder gerade passt.«
    Steinberg macht eine Redepause und zeigt Bilder von Tölpeln und Bachstelzen, von Bonobos und Präriewühlmäusen. Mal sind die Tiere allein, dann zu zweit beim Liebesspiel, oder in der Gruppe. Clara schweift mit ihren Gedanken ab, Berichte und Bilder von Tieren hat sie von Alex genug gesehen, das ist nicht ihr Ding. Ob ihr Mann und dieser Steinberg sich kennen? Alex sprach früher mal von einem Kollegen, der erst als Verhaltensforscher gearbeitet hatte, aber dann die Forschung verließ, um die Suchprofile von Partnervermittlungen zu verfeinern.
    Wie von Ferne hört sie die wohlig wärmende Stimme des Referenten. Dazu lässt sie den Bilderteppich an sich vorüberziehen, ohne wirklich wahrzunehmen, was auf der Leinwand gerade gezeigt wird. Sie kommt sich ein bisschen vor, als ob sie sich »Expeditionen ins Tierreich« im leichten Drogenrausch ansehen würde. Dabei hat sie gar nichts genommen.
    Erst als sie hört, wie Raffael Steinberg sich in seinen Ausführungen dem Beziehungsleben von Mann und Frau zuwendet, taucht sie ganz entspannt wieder im Hier und Jetzt auf.
    »… und genau das müsst ihr euch für eure Partnerschaft überlegen: Ihr seid wahlweise mit eurem Typen oder eurer Frau zusammen, wahlweise – das bedeutet freiwillig! Ihr müsst es wollen, der andere natürlich auch. Aber niemand zwingt euch dazu! In der Natur ist Treue ein absolutes Notprogramm. Ihr könnt hingegen den Partner wechseln, wann immer und mit wem ihr wollt. Oder ist eure Not so groß, dass ihr keinen anderen findet als den Kerl, der von euch zwar im Bett was will, sich aber ansonsten schon lange nicht mehr für euch interessiert?«
    Clara horcht auf. Der Kerl beschreibt gerade ihre Ehe!
    »Die Treue ist ein ewiger Kampf gegen die Natur. Nach dem anfänglichen Hormonhoch und wildem Sex in den ersten zwei, drei Monaten muss man sich bemühen, um zusammenzubleiben. Denn die Natur will etwas anderes. Und wenn ihr nicht kämpft, gewinnt die Natur.«
    Kämpfen, denkt Clara, ist nicht gerade Alex’ Stärke.
    »Nicht, dass ihr mich falsch versteht. Am schönsten ist eine Affäre natürlich mit dem eigenen Partner, keine Frage. Dafür müssen allerdings beide interessant und begehrenswert füreinander bleiben, sonst wird das nichts.«
    Der Gedanke an Flucht ist bei Clara inzwischen verflogen. Jetzt fühlt sie eine tiefe innere Zustimmung, obwohl ihr irgendetwas an diesem Raffael Steinberg nicht behagt. Dieses Selbstgewisse! Dieses Auftrumpfen! Aber er ist wohl trotz der Show, die er abziehen kann, ein schroffer Romantiker, einer, der die innige, die intensive Beziehung feiert, das tiefe gegenseitige

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