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Betrügen lernen

Betrügen lernen

Titel: Betrügen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Bartens
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ich den Kopf zur Seite und etwas nach hinten drehen. Genau in diesem Moment muss ich gähnen. Das ist zu viel auf einmal für mein noch steifes Kiefergelenk. Beim Gähnen und der gleichzeitigen Seit wärtsdrehung knackst es irgendwie innerlich. Mein Mund bleibt offen stehen. Normalerweise kriege ich morgens nie den Mund auf.
    Hallo! Hallooooo? Das sage ich zu mir selbst, und zum Wachwerden sage ich es noch mal laut. Heraus kommt aber ein entsetzliches Gelalle, ein »Chaaaachlloo, Chaaaachlloo«.
    Schluss jetzt mit den Faxen, sage ich mir und will den Mund wieder schließen. Ich mache ihn energisch zu, das heißt, ich will ihn energisch zumachen. Aber das geht nicht. Je mehr Kraft ich aufwende, um meinen Mund zu schließen, desto stärker und federnder wird der Widerstand, der genau dies verhindert. Wie bei einer Spiralfeder, die man immer weiter zusammendrücken will und die nur umso heftiger zurückschnellt. Verdammt schmerzhaft ist es außerdem.
    Ich schüttele den Kopf wie ein Hund, der gerade im Wasser war. Teils, weil ich noch immer nicht richtig wach bin, teils, damit sich der Kiefer endlich wieder einrenkt und der Mund schließen lässt. So wie es früher, als es noch keine Flachbildschirme gab, manchmal geholfen hat, ein paarmal mit der flachen Hand auf den Fernseher zu schlagen, wenn das Bild wackelte. Also noch mal von vorn das Ganze: durchatmen, den Kopf schütteln. Und jetzt langsam, ganz langsam und vorsichtig, den Mund zu schließen versuchen. Sachte, es muss ja nicht mit Gewalt sein. Vergebens, es geht nicht. Verdammt, ich habe offenbar eine Maulsperre.
    Irgendwann in den 1970er-Jahren kam es zum angeblich größten Kampf aller Zeiten. Zumindest wurde er als solcher angepriesen. Cassius Clay, der sich längst Muhammad Ali nannte und später als der Größte aller Zeiten bezeichnet wurde, bevor er dann leider an Parkinson erkrankte, trat gegen einen asiatischen Kampfsportler an, der Karate, Kung-Fu, Taekwondo und einen Haufen anderer fernöstlicher Techniken perfekt beherrschte. Der Hüne hatte nicht nur einen enormen Brustkorb, sondern auch ein enorm langes und weit vorragendes Kinn. Sein Spitzname lautete »Der Pelikan«.
    Damit er nicht von Alis Fäusten getroffen wurde, robbte der Pelikan während des gesamten Kampfes auf allen vieren herum, falls man »robben« dazu sagen kann, wenn der Bauch im Vierfüßlerstand nach oben zeigt. »Brücke machen« hieß das in der Grundschule oder im Yogakurs. Wie ein Käfer, der auf dem Rücken liegt, sah er aus, allerdings war er dafür noch ziemlich beweglich. Wenn er selbst zur Attacke überging, trat der Asiate den armen Ali immer wieder blitzschnell gegen die Kniekehle, die nach wenigen Runden schon bedrohlich auf Tennisballgröße angeschwollen war und in jeder Ringpause gekühlt werden musste. Ali versuchte sich tänzelnd zu ihm hinunterzubeugen, um ihm eine zu wischen, sah dabei aber ziemlich tapsig aus. Er erwischte ihn kaum mit seinen Fäusten, und wenn, dann wäre die mächtige Kinnlade des Pelikans bestimmt so verschoben gewesen, wie sich meine inzwischen anfühlte.
    Ich werde langsam wütend auf meine elende Hilflosigkeit. Ich vergewissere mich noch mal meiner ausweglosen Lage: Die Kinder sind im Kindergarten und Clara ist in der Arbeit. Keine Hilfe weit und breit. Ich traue mich nicht vor die Tür mit diesem halb offenen Mund und rufe Clara an.
    In meinem Mund hat sich inzwischen immer mehr Speichel angesammelt. Ich sabbere, ich kann aber auch schlecht schlucken und bräuchte jetzt diesen röhrenden Absaugschlauch vom Zahnarzt.
    Ah, das Tuten hat ein Ende, es nimmt jemand ab. Claras Kollegin Regina ist am Apparat, das erkenne ich sofort, auch wenn sie nur ein morgenmüdes »Hallo« herausbringt.
    »Haaacchhllo, cchhhhier binn iccchh«, schnorchele ich in den Hörer. Es hört sich an, als ob ich ein Gedicht aufsagen will, während ich mit einem Liter Wasser gurgele.
    Sie erkennt mich nicht, bestimmt will sie mich nicht erkennen, die doofe Ziege. Regina hat was gegen Männer, wahrscheinlich hat sie sich aus Rache am anderen Geschlecht für den Beruf der Urologin entschieden. Jetzt tut sie so, als sei ihr nicht mal meine Stimme vertraut, und sie weiß daher angeblich auch nicht, wer dran ist.
    »Da ist wohl wieder so ein Schwein, das sich einen runterholt«, ruft sie über den Flur Clara zu. »Ein obszöner Anrufer. Wir sollten eine Trillerpfeife neben dem Telefon deponieren.« Sie will auflegen.
    Ich stammele mit halb offenem Mund »Neinnch, neinnch,

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