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Betrügen lernen

Betrügen lernen

Titel: Betrügen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Bartens
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kommen dann nicht so gut mit Infektionen klar.
    Zu Studienzeiten habe ich mal mit Angela, mit der ich damals zusammen war, und der schüchternen Iris in Schweden eine Radtour gemacht. Wir hatten Zelte dabei, kaum geduscht und stark gerochen, dazu die vielen Insektenstiche und nachts zärtliche Handgreiflichkeiten im Zelt – und die arme Iris musste alles mit anhören. Das ist wahrscheinlich die Erklärung für die vielen Insekten in Skandinavien. Von den Ausdünstungen liebesbrünstiger Touristen, die unter Zeltplanen handgreiflich sind, werden sie angezogen. Aber all das ist gut für das Immunsystem, krank sind wir jedenfalls nicht geworden.
    »Übrigens wird Moschusduft aus Schweißdrüsen gewonnen, die bei den Moschusochsen nahe am After sitzen«, sage ich und rutsche etwas zu ihr hinüber. »Und so was schmieren sich die Menschen in Europa an den Hals und hinter die Ohren.«
    Ich will mit dem Seidentuch, das sie gerade abgelegt hat, meine Ausführungen unterstreichen, gewissermaßen theatralisch untermalen. Auf bayerischen Volksfesten war es bis ins 20. Jahrhundert hinein Brauch, dass die Einheimischen sich beim Tanzen und Schuhplatteln ein überdimensionales Taschentuch unter der schweißnassen Achsel durchzogen und dieses Schweißtuch dann interessierten möglichen Partnerinnen unter die Nase hielten. Auch will ich von einigen Eingeborenenstämmen aus Afrika berichten, die sich unter den Achseln und sogar an der Scham beschnuppern, bevor sie sich aufeinander einlassen. All das will ich, doch so weit komme ich nicht.
    Ich habe bei dem Versuch, das Seidentuch in möglichst hohem Bogen durch den Raum zu wirbeln und so zu tun, als ob es mit einem betörenden, umwerfenden Sexuallockstoff getränkt sei, ihre riesige gläserne Bodenvase umgeworfen, in der drei nackte Bambusrohre stehen, die Iris Radisch womöglich als Phallussymbol entlarvt hätte. Die Vase ist zwar aus dickem Glas, doch dem Sturz hält sie trotzdem nicht stand. Auf Bodenvasen bin ich nicht eingestellt. Wer Kinder hat, besitzt keine Bodenvasen.
    Beim Versuch, die Scherben aufzulesen, schneide ich mich in den Finger, was umgehend nach einer jodhaltigen Tinktur zur Desinfektion verlangt. Zur Not hätte es auch ein Jodquellenbad getan, aber ich bezweifele, dass die Wellnesslandschaft in ihrem Badezimmer so etwas bereithält, auch wenn sie mir vorhin beim Essen von verschiedenen Funktionen wie Raindance, Bürstenmassage und Geysirsprudel vorgeschwärmt hat, die sie sogar mit einer Fernbedienung in Gang setzen kann. Ich gerate wieder mehr ins Schwitzen, als ich daran denke, dass sich die Wunde entzünden könnte.
    Man kann es sich wahrscheinlich schwer vorstellen, aber von diesem Moment an ist der Zauber zwischen uns irgendwie verflogen. Sie erkaltet innerlich, das spüre ich, und sie sagt, dass es wohl besser wäre, wenn ich jetzt gehen würde. Ich sage, lass uns Freunde bleiben, imitiere mit meinem Taschentuch einen Druckverband auf dem verwundeten Finger und habe plötzlich das dringende Bedürfnis nach einer wortlosen Verständigung, die es nur unter Männern gibt. Nur die Zuneigung zwischen Männern ist ohne jegliche Ansprüche und Erwartungen. Ja, man kann es vielleicht sogar eine Sehnsucht nach einer Gemeinschaft schwitzender Männer nennen, die ich verspüre. Das ist jetzt nicht homoerotisch gemeint.
    Ich habe mir aus der Zeit der Paartherapie mit Clara eingeprägt, dass ich stärker an mich denken soll. Zu Hause gönne ich mir daher etwas und nasche ein paar Luxemburgerli, die ich aus der Schweiz mitgebracht habe und die sehr teuer sind. Dazu mache ich mir Nudeln mit Fertigsoße, die ich aus der Schüssel esse. Erinnerungen steigen auf an die Zeit, als ich mit einem Freund nach einer Radtour zu Hause noch ein bisschen nachschwitzen konnte, ohne dass wir in Sorge waren, mit unseren Ausdünstungen jemanden – das heißt: eine Frau – zu stören. Dazu haben wir in Ruhe eine Dose Ravioli aufgemacht, in die ich Wiener Würstchen schnitt. Köstlich schmeckte uns das. Damals beschloss ich, dass Männer, die riechen und schwitzen und die einfache unverdorbene Kost zu schätzen wissen, mir Vertrauen einflößen.
    Das ging nicht nur mir so. Eine Mitbewohnerin meiner WG musste immer an ihre Kindheit denken, wenn einer der Studenten bei uns nach dem Frühstück ausgiebig das Klo aufsuchte. Dieses Ritual und der Geruch haben sie besonders an ihren Vater erinnert, und wenn sie davon sprach, bekam sie einen melancholischen Blick. Heimat ist da, wo es vertraut

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