Betrügen lernen
Galama zueinander. Manchmal habe ich das Gefühl, das spielte sich alles in einer früheren Beziehung ab. Dabei ist es zweifellos dieselbe Frau, nämlich Clara, und es ist derselbe Mann, nämlich ich, die jetzt nicht mehr zueinanderfinden. Noch länger her ist es, dass meine persönliche Männer fantasie das letzte Mal in Erfüllung gegangen ist. Und die geht so: Sie oder ich werden nachts unverhofft wach, kuscheln uns aneinander, umarmen uns, und im Halbschlaf finden wir dann zueinander. Das gab es mal zwischen uns, ehrlich, aber das muss kurz nach dem Krieg gewesen sein.
Ich habe auch gehört, dass es Männer geben soll, die manchmal keine Lust auf Sex haben. Sie will, er aber nicht. Das kann ich mir gar nicht vorstellen, Midlife-Crisis hin oder her. Das ist bestimmt eine dieser modernen Legenden, aber diesmal von Frauen in die Welt gesetzt. Andererseits sind diese Legenden von wollüstigen Frauen, die zu Hause nur darauf warten, dass der Briefträger klingelt und sie aus ihrer Monotonie reißt, natürlich alle Männerfantasien entsprungen. Es soll ja Männer geben, die angeblich abends zu müde, zu angespannt oder zu gestresst von ihrem anstrengenden Tag sind, um noch Sex mit ihrer Partnerin haben zu wollen.
So gestresst kann ich vermutlich überhaupt nicht sein. Nur beim Nacktschlafen vergeht mir die Lust. Das mag ich gar nicht. Und Clara würde es bestimmt für zu aufdringlich halten. Mich selbst würde es auch viel zu nervös machen, wenn sie da völlig nackt neben mir liegt. Außerdem komme ich mir dabei, nun ja, nackt vor. Ich hab’s ein paar Mal versucht, bin auch eingeschlafen irgendwann mitten in der Nacht, aber wieder aufgewacht, weil ich gefroren habe. Besonders obenrum. Nein, angezogen zu schlafen ist geheimnisvoller, subtiler. Man will ja auch noch was zum Auspacken haben.
Ich bin mittlerweile auch sprachlich etwas fixiert: Sobald im Radio das Wort Nachtfahrverbot fällt, verstehe ich nur Nacktfahrverbot. Ist wohl eine kleine Obsession. Nacktfahrverbot. Was ich hingegen gar nicht verstehen kann, ist dieses Gewese um die Bodyscanner auf Flughäfen oder andere radiologische Tätigkeiten. Das hat doch nichts von Erotik, die Oberkörper von Frauen zu durchleuchten. Vor hundert Jahren war das vielleicht noch anders. Wie aufgeregt sie ist, die Madame Chauchat in Thomas Manns »Zauberberg«, als sie ihre Röntgenaufnahme in Händen hält. Und um wie viel aufgeregter ist Hans Castorp, als er diese intime Aufnahme anschauen kann und das Gefühl hat, sie nackt zu sehen.
Mittlerweile kommt auch eine gewisse Scheu des Alters vor zu viel Nacktheit hinzu. Ich bin zwar erst Ende 30, doch der leichte Isoliergürtel aus Unterhautbindegewebe, der sich mittlerweile schützend um meinen Körper gelegt hat, hat mich etwas genant gemacht. Genauso wenig will ich, dass Frauen die Krampfadern sehen können, die sich an der Innenseite meines linken Knöchels gebildet und zu einem bedrohlich engmaschigen Netz verwoben haben.
Komischerweise gibt es sie nur links am Knöchel, rechts ist nichts. Bei Wilhelm Genazino findet sich im Buch »Die Liebesblödigkeit« diese Szene, in der er mit einer Frau schläft, er nimmt sie von hinten, beide knien, und dabei betrachtet er zwischendurch die sich leicht kräuselnden Adern in ihrer Kniekehle. Ich würde nicht wollen, dass eine Frau mich so genau unter die Lupe nimmt. Wenn sie ein bisschen Orangenhaut hat, stört mich das auch nicht.
Meine Haut ist besonders empfindlich, weshalb ich sie nicht gern entblöße. Ich habe offenbar eine Neigung zu Ekzemen, und es ist ziemlich irritierend, wo sich die wunden, geröteten und manchmal schuppenden Stellen überall bilden. Immer wieder bekomme ich zum Beispiel Ekzeme an der Stelle, an der mein Ehering sitzt. Das ist zwar seltsam, aber ich kann es mir mit allergischen Reaktionen auf das Edelmetall erklären. Dann entdecke ich allerdings gelegentlich auch rötliche Verfärbungen in tieferen Regionen, obwohl ich dort nicht gepierct bin. Das ist nicht weiter gefährlich, aber ich frage mich schon, ob es an unbewussten Reibungen in der Nacht oder doch eher an psychischen Reibungen mit meiner Frau liegt.
Jetzt habe ich aber gerade keine Ekzeme, und alles ist gut. Ich sitze im Café und blättere in einer Illustrierten. Eine junge Frau setzt sich zu mir, und heute habe ich Lust auf ein kleines Spiel. Ich hatte schon als Kind die Fähigkeit, meine Finger erstaunlich weit zurückbiegen zu können. Eine Weile befürchtete ich, am Marfan-Syndrom zu
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