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Betrügen lernen

Betrügen lernen

Titel: Betrügen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Bartens
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Ecke gibt es auch ein riesiges Sortiment unterschiedlich großer, schwerer und teils bizarr gestalteter Bleigewichte. Beim Angeln dienen sie dazu, der Schnur mit dem Köder den nötigen Tiefgang zu verleihen. Eigentlich sind manche ganz schön geformt.
    Ein wenig von der besonders dünnen Angelschnur nehme ich vorsichtshalber mit, dazu auch unterschiedlich schwere Gewichte, man kann ja nie wissen. Später zu Hause schaue ich immer mal wieder prüfend an mir hinab. Noch geht es. Ich habe das Material aus dem Anglerfachgeschäft sorgfältig in meinem Arbeitszimmer versteckt. Vorläufig benutze ich die Bleigewichte allerdings nur als Briefbeschwerer.

Auf Montage
    Clara sitzt zu Hause auf dem Sofa, allein. Die Kinder sind in der musikalischen Früherziehung, anschließend werden sie von einer Freundin vorbeigebracht. Alex musste früh ins Institut. Clara ist stinkwütend auf Raffael, diesen Mistkerl. Dabei hatte er sie nicht angelogen, ihr nie etwas vorgemacht, sie nicht getäuscht – aber enttäuscht ist sie trotzdem.
    Was hatte Raffael ihr im Dolce Vita alles erzählt. Ihr vorgeschwärmt vom September in Südfrankreich. Er kenne da eine Kirchenruine direkt am Strand, ein verlassenes erhabenes Gemäuer, von dem nur die Einheimischen wissen, weil es auf einer Landzunge liegt und die Straße in einer Sackgasse endet. Im Spätsommer sei das Licht dort besonders zauberhaft, es verleihe den verwitterten Sandsteinmauern der Kirche einen bezaubernd warmen Glanz. Und so wie er sie bei seiner Schwärmerei angesehen hatte, stellte sie sich vor, dass sie einfach spontan gleich am nächsten Morgen nach Montpellier oder Marseille fliegen und dann mit dem Cabrio an den verzauberten Ort fahren würden. »Wir könnten am Strand übernachten, wenn es noch warm genug ist«, hatte er gescherzt. Und er wollte ihr die Liebesgeschichte von Maguelone erzählen, die sich um die Kirche und einen besonderen Ring rankt, aber sie winkte nur lachend ab.
    »Keine Chance, ich bin morgen eingeteilt für die ED-Sprechstunde, das kann ich nicht verschieben.«
    »ED, was ist das denn Unanständiges?«
    »ED steht für erektile Dysfunktion, das ist der medizinische Fachbegriff für Potenzstörungen.«
    Raffael hat sich die längs gerollte Serviette vom Restauranttisch genommen und in seine Hose gesteckt, so dass sich sein Schritt grotesk ausbeulte. Clara musste lachen. Dann hat sie versucht, ernst auszusehen, und gesagt: »Darüber macht man keine Witze!«
    »Das ist kein Witz, das ist die harte Wahrheit«, hat er geantwortet und die Serviette wieder auf den Tisch gelegt – und bei Toni als Zwischengang ein paar Stangen Spargel bestellt.
    Dieser Schuft! Kann ebenso direkt wie galant und ver führerisch sein, und dann hat er eine Hygieneausstattung in seinem Badezimmer wie in einem Bordell. Und sogar den Schmuck bestellt er offenbar mit Mengenrabatt, wahrscheinlich war der im Seminarpreis inbegriffen.
    Das Telefon klingelt. Bestimmt ist er das, denkt Clara, bestimmt will Raffael sich entschuldigen und sie um Verzeihung bitten. Bestimmt tut es ihm furchtbar leid. Doch sie wird sich standhaft zeigen und ihn kalt abweisen. Sie hat schließlich auch ihren Stolz.
    »Hi, ich bin’s, Dorothee!«
    Clara flucht innerlich. Diese Frau sollte von allen Kommunikationsmitteln dauerhaft getrennt, aus dem Netz geworfen und bei allen Telefon- und Internetanbietern gesperrt werden.
    »Jaaah, was gibt es denn«, sagt Clara genervt.
    »Ich will nicht lange stören, aber es gibt schon wieder eine Absage.«
    »Soso«, Clara interessiert sich gerade für nichts weniger als für die Fluktuationen auf ihrer Gästeliste.
    »Jochen kommt nicht, wieder ein Mann weniger. Ich habe gleich gesagt, dass ihr euch etwas einfallen lassen müsst. Seine Firma hat überraschend einen Großauftrag in China bekommen, ein Wasserkraftwerk, glaube ich, und er muss für mindestens drei Monate hin. Auf Montage.«
    »Ich muss auch auf Montage«, sagt Clara. »Aber das Werkzeug, das ich dafür brauche, ist noch nicht erfunden worden.«
    Ihr Blick fällt auf den Nussknacker im Regal.
    Dorothee will nachfragen, welchen auswärtigen urologischen Großauftrag Clara erwartet, soll sie etwa die Erektionsstörungen eines Scheichs behandeln? Doch Clara legt einfach auf.
    Clara läuft in der Wohnung auf und ab. So vieles muss sie in ihrem Leben geradebiegen. Diese blöde Geschichte mit Raffael muss sie klären und sich vor allem endlich darüber klar werden, was sie von ihrer Ehe mit Alex überhaupt noch

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