Betrügen lernen
Boden zu halten. Ich merke, dass ich am ganzen Körper schwitze und zittere. Wenn ich noch ein paar Minuten länger so verstockt dasitze, passiert an diesem Abend nichts mehr.
Da fällt mir ein, dass es ja durchaus auch Werbung gibt, in der der Schweiß angemessen gewürdigt wird. Etwa die mit diesem wahnsinnig gut aussehenden muskulösen Typen, einer Art Kurier. Es ist heiß, er hat sich angestrengt, und er bringt diesen Business-Ladys in ihren Business-Kostümen eine Palette Cola. Er läuft im T-Shirt rum und schwitzt, und das sieht man ihm auch an. Sein Gesicht und seine wohldefinierten Arme sind schweißgebadet, bedeckt mit kleinen Tropfen. Trotzdem sieht er die Frauen mit diesem George-Clooney-Blick an, als ob er wüsste, dass sie mit ihm, wie er da so transpirierend mit seinem Bauarbeiteroberkörper vor ihnen steht, auch auf den Wiener Opernball gehen würden. Er will aber im Moment gar nicht auf den Wiener Opernball, sondern nur eine Cola-Brause trinken. Weil er so heiß ist und es so heiß ist, beschlägt die kalte Limodose sofort, als er da raus trinkt.
Kaum ist er weg, denn Fahrradkuriere haben ja nicht ewig Zeit, sondern werden nach der Zahl ihrer erledigten Aufträge bezahlt, stürzen sich die Business-Frauen auf die leere Getränkedose, um noch eine Spur von dem maskulinen Schweiß zu erhaschen. Wie Ziegen den Salz stein lecken sie die Dose mit den Resten seiner Transpirationsprodukte ab, um auf diese Weise noch einen Hauch von echtem Kerl zu erwischen.
»Was ist?«, säuselt sie, und ich bin kurzzeitig in meinen Bemühungen gestört, mich mittels autogenen Trainings mental in den umwerfenden Cola-Mann zu verwandeln, und zwar kurz bevor er die Dose öffnet.
»Es gibt die Ausdrücker und die Naturtrüben«, sage ich möglichst cool und versuche mich auf dem Sofa maskulin entspannt hinzufläzen. Ich mache die Beine breit.
»Was meinst du damit?«, fragt sie, und sie haucht es dahin, als ob ich eine Anspielung gemacht hätte, die an knisternder Erotik nicht zu überbieten ist.
»Pickel. Ich rede von Pickeln. Von Eiterpickeln«, sage ich. Kunstpause. Pause, Pause. Sie geht nicht darauf ein. »In der Schule gab es doch immer zwei Gruppen. Die einen haben ihre Pickel sofort ausgedrückt, sobald sie etwas sprießen gesehen haben. Die anderen haben sie wachsen lassen, weil sie das für natürlicher hielten.«
Ich fühle mich mit diesem Gesprächsangebot auf sicherem Boden, denn meine Haut ist derzeit makellos, und selbst damals in der Pubertät hatte ich kaum unter Pickeln zu leiden. Zugegeben, es gibt auch andere Themen, mit denen man die knisternde Stimmung zwischen Mann und Frau weiter hätte befeuern können. Immerhin schwitze ich jetzt schon deutlich weniger. Sie setzt sich aufrechter hin. Sie kann das Gespräch unmöglich auf mich und etwaige Hautunreinheiten meinerseits beziehen. Und sie sieht auch jetzt, im Schein ihrer ziemlich grellen Artemide-Lampe, nicht so aus, als ob sie jemals Clearasil hätte benutzen müssen. Insofern ist das eigentlich eine unverfängliche Konversation.
»Auch wenn es damals nicht so schön aussah – ich hat te eine gewisse Sympathie für diejenigen, die ihre Pickel nicht sofort ausgedrückt haben, sondern sie wachsen ließen«, sage ich. Allerdings musste ich auch an Wilfried denken, der sogar die Eiterpickel auf seiner Nase blühen und gedeihen ließ, was manchmal schon etwas ablenkte, wenn man mit ihm sprach und ihn dabei ansah. Jetzt muss ich möglichst zwanglos zum eigentlichen Thema kom men. »Mit Schweiß ist das ähnlich. Das ist ja etwas ganz Natürliches; ein Kühlmittel für die Hitze des Augenblicks.«
Ich will meine Überlegungen weiter ausführen, ganz beiläufig. Mir ist schließlich nicht verborgen geblieben, dass die Distanz zwischen uns wieder etwas größer geworden ist, seit wir auf ihrem apricotfarbenen Sofa sitzen und ich das Gespräch wieder aufgenommen habe.
»Schweiß gilt als ein besonders betörendes Parfum, er ist ein Sexuallockstoff«, sage ich und versuche, dabei besonders verwegen und verführerisch zu klingen. Ich will gerade erklären, dass es auch aus medizinischer Sicht gut ist, wenn man sich gegenseitig riechen kann. Das spricht schließlich dafür, dass die Immunsysteme der Partner ziemlich unterschiedlich sind und sich optimal ergänzen für den Nachwuchs. Das heißt, das Abwehrsystem der gemeinsamen Kinder ist dann gegen ziemlich viele Erreger gewappnet. Wer sich nicht riechen kann, ist sich hingegen zu ähnlich, und die Kinder
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