Betthupferl: Roman (Fraueninsel-Reihe) (German Edition)
Emaillekrug und ein Stuhl mit geschnitztem Herzchen in der Lehne. Die kleinen Blumenvasen auf den Nachttischen sind leer, es sieht nicht so aus, als hätte Tante Caro in der nächsten Zeit Gäste erwartet.
Tante Caros Schlafzimmer ist ein adrettes Zimmer, für jemanden, der auf Biedermeier steht: Rüschen ohne Ende, eine Stofftapete mit Blumenranken, und gegenüber dem Bett mit den vier gedrechselten Pfosten und dem pistaziengrünen Betthimmel steht ein alter Sekretär, von dem ich mir einiges an Hinweisen verspreche. Er ist eine wurmstichige Antiquität, und Holzmehl rieselt auf meine Knie, als ich eine Schublade nach der anderen herausziehe und den Inhalt um mich herum auf dem Boden verteile.
Eine Kasse, nicht abgesperrt, mit zwei Fünfeuroscheinen und ein paar Münzen. Alte Lieferscheine für Heizöl und Gas. Eine Rechnung der Bootswerft Janni Kraillinger über Inspektion und Ölwechsel. Tante Caro hatte ein Boot? Richtig, Anneliese hatte davon erzählt. Ich schüttle den Kopf, selbst wenn, wird sie damit nicht in den Süden gefahren sein.
Zwei ungeöffnete Briefe. Ich reiße den ersten auf: Wäsche- und Mangelservice Bernau, eine Mahnung über einhundertdreißig Euro. Der nächste ist von der Bayerischen Wind & Wetter , die zweite Mahnung über einen ausstehenden Beitrag für die Hausratsversicherung. Eine große Freundin zeitnaher Zahlungen scheint Tante Caro jedenfalls nicht zu sein.
Die große Schublade unter der Schreibplatte bekomme ich kaum auf, eine Mappe von der Sparkasse und ein schwarzes Buch mit der Aufschrift »Gäste« haben sich darin verklemmt, und ich helfe mit einem Brieföffner nach. Während ich die Kontoauszüge durchblättere, die in dem Sparkassenordner abgeheftet sind, muss ich mir immer wieder erschrocken auf die Unterlippe beißen.
Eingang: Rentenkasse. So wenig? Abbuchungen: Telefon, Klosterladen, Eurofonds 2000. Eurofonds 2000? Hm. So viel für einen Fonds, jeden Monat? Kein Wunder, dass sie ihre Rechnungen nicht pünktlich zahlen konnte!
Die wenigen Häuser ducken sich weg, als würden sie schlafen, und an den Souvenirläden und Gasthäusern hängen überall die gleichen Schilder: »Winterpause«. Es scheint eine allgemeine Inselflucht eingesetzt zu haben, und ich verstehe durchaus, warum. Es ist kein Festland zu sehen, keine Berge, nichts. Ein paar Enten, die zum Dösen die Köpfe auf den Rücken gedreht haben, sind noch das Lebendigste in dem ganzen Novemberelend.
Der Wassertopf auf dem Kachelofen in der Stube dampft, als hätte ich den Nebel von draußen mit ins lechnersche Haus gebracht.
»Ganz schön neblig, ha?«, begrüßt mich Anneliese. »Das Gute ist – wem’s jetzt bei uns gefällt, dem gefällt’s immer!«
Dazu sage ich jetzt einfach mal nichts. Weil ich sowieso finde, dass übers Wetter reden nur etwas für Leute ist, in deren Leben sich ansonsten nicht viel bewegt, lenke ich die Sprache gleich auf die wirklich wichtigen Dinge.
»Anneliese, was hat die Caro eigentlich hierher verschlagen?«
»Das weiß ich jetzt auch nimmer so genau«, bekomme ich als unbefriedigende Antwort.
»Weißt du, wovon sie im Winter gelebt hat, wenn sie im Seeblick keine Zimmer vermietet hat, bei der Minirente?«
»Nein«, schnappt die Anneliese und macht einen kleinen krausen Mund wie ein Rosenkohl.
»Und an welchen Fonds sie über die Hälfte ihrer Rente überwiesen hat, Monat für Monat?«
»Nein.« Die Lechner-Oma macht weiter ein verkniffenes Gesicht. »Und das geht mich auch nix an.«
Ich gebe aber nicht auf und setze mich einfach mal an den Tisch, direkt unter den Herrgottswinkel mit dem Kruzifix und einer Vase mit vertrockneten Palmkätzchen. Auf dem Tisch stehen eine Zuckerdose und ein Milchkännchen, aber ich kann leider außer ein paar Bröseln in einem leeren Brotkorb nichts zu essen entdecken.
»Lass uns mal alles zusammentragen, was wir über die Tante Caro und ihr Verschwinden wissen. Meiner Meinung nach gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder, erstens: Tante Caro ist immer noch in irgendeiner Klinik oder in der Reha und hat niemandem Bescheid gesagt. Oder, zweitens: Sie ist einfach in den Süden gefahren, um sich zu erholen. Das war doch immer ihr großes Ding, oder?«
»Ja, schon«, meint die alte Anneliese zögernd. »Magst noch einen Kaffee?«
»Gerne, später. Aber sag mir erst, wo genau sie da immer hingefahren ist.«
»Mei, in den Süden halt.«
Ich schaue sie auffordernd an. »Also, wenn man es genau nimmt, beginnt der Süden eigentlich schon bei
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