Betthupferl: Roman (Fraueninsel-Reihe) (German Edition)
kampflustig die langen Haare zurück. »Wieso, was machst du denn für einen Sport?«
»Ich geh lieber ins Training.«
»Ah. Und was machst du da?«
»Kickboxen«, sage ich und füge noch hinzu: » Advanced level natürlich.«
»Ah, natürlich«, sagt die Fränzi gedehnt, »wer’s nötig hat.«
Die Zeugen unserer Unterhaltung scheinen allesamt erstarrt zu sein wie im Dornröschenschloss. Leonie stiert in eine aufgeschlagene Zeitschrift, Helga balanciert ihre Füße in Bonis Schoß, der hat mitten in einer Fußmassage innegehalten und die Hand um einen von Helgas großen Zehen geschlossen. Ich schaue die Fränzi an, und mir wird ein bisschen schlecht in der heißen Küche.
»Ah geh, Fränzi«, meint jetzt endlich der alte Sonnfischer. »Tschuldigung, Sefferl, aber die Fränzi, die hat manchmal leider Haar auf den Zähnen.«
»Schon in Ordnung«, entgegne ich ziemlich matt. »Es war einfach keine gute Idee, hierher zu fahren. Spätestens morgen Abend bin ich wieder weg. Ich will nur noch rauskriegen, wohin die Tante Caro in den Urlaub gefahren ist, damit alle ihre Ruhe haben. Noch einen schönen Nachmittag. Fränzi, dir natürlich auch.«
Ich bemühe mich nicht besonders, die Küchentür leise ins Schloss fallen zu lassen, und bin schon fast auf dem Uferweg, als mir jemand nachruft. Helga Brüderle steht in der Tür und hält die Tischdecke fest, damit sie ihr nicht über den Busen rutscht.
»Tut mir leid, aber das war jetzt gerade ein bisschen ungünstig.«
Ich sehe sie abwartend an, denn ungünstig ist ein komischer Begriff dafür, dass sie mir nicht beigesprungen ist.
»Es ist für Insulaner immer schwer, wenn ein Außenstehender über sie schimpft. Wenn jemand Kritik übt, dann darf das nur einer von ihnen. Nach außen hin halten sie immer zusammen.«
Helga zieht fröstelnd die Schultern hoch.
»Aber ich wollte dir noch etwas anderes sagen, weil ich mir natürlich auch Gedanken darüber gemacht habe, wo Frau Drechsel sein könnte. Deine Patentante war nicht so schlecht beisammen. Soweit ich weiß, hat sie zwar Medikamente gegen zu hohen Blutdruck bekommen, aber ansonsten war sie keine Risikopatientin. Ich habe allerdings den Infarkt nicht behandelt, das haben die Kollegen aus der Kardiologie gemacht, aber auch das ist eigentlich keine große Sache, wenn man in so gutem Allgemeinzustand ist wie die Frau Drechsel.«
»Und wann ist sie entlassen worden?«
»Das kann ich dir erst sagen, wenn ich morgen wieder in der Klinik bin.«
Die Ärztin schaut mir besorgt ins Gesicht.
»Geht’s dir gut? Du siehst sehr blass aus. Geh doch zum David hoch ins Hotel, das sind die Einzigen, die zurzeit geöffnet haben. Er macht dir sicher gerne eine Fischsuppe, die würde dich kräftigen!«
»Nein, danke«, verabschiede ich mich hastig, denn Fischsuppe kann ich jetzt noch weniger brauchen als mütterliches Getue.
Es gibt auf der ganzen Fraueninsel keine richtige Straße, nur zwei Hauptwege: einen außen herum und einen innen herum. Erklärt das nicht, warum die Menschen hier so vernagelt sind? Die denken doch auch nur einmal innen rum, einmal außen rum, und was sich einem in den Weg stellt, das wird rausgeekelt.
Die Kirchenglocken dröhnen durch den Novembernebel, ich habe keine Ahnung, was die an einem Samstag so ein Aufsehen machen. Dieses Dreckswetter passt jedenfalls zu diesem traurigen Geläute wie die Sahne auf den Erdbeerkuchen.
Oder die Salami auf die Pizza.
Oder das Curry zur Wurst.
Der kleine Weg, auf dem ich Richtung Casa Drechsel gehe, ist eigentlich nicht besonders lang, vierhundert Meter maximal. Trotz Nebel müsste ich allmählich die zwei großen Lärchen in Tante Caros Garten sehen, aber während mein Kopf immer mehr Bilder von leckeren Mahlzeiten produziert, scheint es mir, als würde der Weg sich im Nebel und in der Unendlichkeit verlieren. Ich verstehe auch nicht, warum ich die ganze Zeit das Gefühl habe, steil bergauf zu gehen. Wer in München vom Gärtnerplatz nach Grünwald findet, der wird sich ja wohl auf einer Insel zurechtfinden, die nicht viel größer ist als der Viktualienmarkt. Ach, der Viktualienmarkt … Beim Gedanken an diese Fressmeile taucht vor mir das Bild bunter Marktstände auf, Oliven und Essiggurken direkt in die Hand, frische Brezen bei der Hofpfisterei, Ochsenfetzen in der Semmel und vor allem die Bratwürste von der Grillstation direkt unterhalb vom Alten Peter.
»Mit süßem Senf?«, fragt mich ein junger Mann, der an der Theke einer Imbissbude steht, die vor mir
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