Betthupferl: Roman (Fraueninsel-Reihe) (German Edition)
aus dem Nebel auftaucht, und senkt einen Schöpfer in einen roten Eimer.
»Ja, mit sehr viel süßem Senf«, rufe ich und strecke die Hand aus, um die Bratwurstsemmel entgegenzunehmen. Aber meine Hand stößt gegen etwas Hartes, Kaltes, ein Metallgitter, das aus dem Nichts vor der Würstlbude aufgetaucht ist und das mir den weiteren Weg versperrt. »Nein!«, schreie ich auf, und strecke mich verzweifelt meiner Brotzeit hinterher, die in der Unschärfe des Nebels verschwindet. Dann ist alles schwarz.
Etwas Spitzes fährt in meinen Handrücken, und eine Frauenstimme sagt: »Ich glaube nicht, dass die Kleine jetzt schon unter Inselkoller leidet. Ich meine eher, dass sie ein Kreislaufproblem hat, die war vorher schon so blass. Ich verstehe nicht, dass diese Mädels immer nicht wissen, was man gegen Unterzucker macht. Nämlich einfach mal was essen.«
»Mei, vielleicht schmeckt’s ihr nicht.«
Ist das der Typ von der Würstlbude, der da gerade geantwortet hat?
»Sie kommt zu sich«, sagt die Frauenstimme, die mir ziemlich bekannt vorkommt. Aber Helga Brüderle steckt inzwischen in einem dunkelgrauen Rollkragenpulli und wickelt gerade ein Blutdruckmessgerät zusammen. Dem Geruch nach bin ich auch nicht mehr bei den Sonnfischern in der Küche, und auch nicht bei Tante Caro oder der Lechner-Oma.
»Höher«, befiehlt Helga jetzt, und ich drehe den Kopf, sehe einen dünnen Plastikschlauch und eine speckige graubraune Lederhose, deren Anblick mich so erschreckt, dass ich die Augen sofort wieder zumache.
»Passt schon«, sagt die brummige Männerstimme, »ruh dich nur aus. Aber nach der Kochsalzinfusion mach ich dir was zu essen.«
»Ich habe keinen Hunger«, piepse ich.
»Wie du meinst«, sagt Basti der Schmied und hebt die Flasche mit der Infusion noch ein Stück höher, damit sie besser in meinen Arm fließen kann.
»Wieso«, frage ich nach ein paar Sekunden Schweigen, »an was hättest du denn gedacht?«
»Hühnersuppe.«
»Hühnersuppe klingt gut«, gebe ich zu und schließe die Augen wieder.
Ich höre noch Helga flüstern: »Weißt du eigentlich, ob die Kleine ein Alkoholproblem hat? Sie hat eine Fahne, dass es einen aus den Schuhen haut.«
»Nein, ich glaube nicht, die verträgt einfach nicht besonders viel. Die war früher schon so sensibel, in jeder Hinsicht«, antwortet der Basti. »Aber wegen der Fahne bringst mich auf was. Ich komm ein Stück mit, Helga, ich muss noch im Klosterladen vorbeischauen.«
Jemand nimmt meine Hand, zieht zart die Nadel heraus und klebt ein Pflaster auf meinen Handrücken. Dann Schritte, Flüstern, eine Tür, Stille. Und ich liege da und bin höchst unzufrieden mit der schwachen Figur, die ich mache. Und denke nach. Wieso eigentlich sensibel? Ich bin nicht sensibel! Na gut, ich hatte mal kurz Unterzucker und eine Bratwurst Morgana , aber das ist ja auch kein Wunder, bei dem Fischfraß, den es hier gibt!
Frustriert fällt mir auf, dass noch nie eines meiner Projekte so schwer in die Gänge gekommen ist wie das, Tante Caro ausfindig zu machen. Ich hätte auf mein Gefühl hören sollen. Denn in mir sieht es so aus wie früher, wenn ich am ersten Ferientag am Dampfersteg abgeladen wurde und meine Eltern noch nicht einmal warteten, bis das Schiff abfuhr. Und jetzt fühle ich mich genauso, frustriert und allein. Die Joe aus München interessiert hier niemanden.
»Ach Oliver«, seufze ich und merke, dass ich ihn tatsächlich vermisse. Ich, Joe Schlagbauer, werde in einem Monat zu meinem Freund nach Los Angeles fliegen, und davon werden mich ein paar Tage Fraueninsel nicht abhalten. Man darf einfach nicht den Blick fürs Wesentliche verlieren, erinnere ich mich, und da kann ich jetzt genauso gut die Suppe essen, ohne dass mir ein Zacken aus der Krone fällt.
Basti hat das Licht ausgemacht, aber von einer großen Feuerstelle in der Mitte des Raumes kommt ein warmes Leuchten. Obwohl die Werkstatt ein großer Raum ist, die Decke gestützt von vier eisernen Säulen, ist sie bullig warm. Und ein einziges Chaos. Das Sofa, auf dem ich liege, ist mehr ein Lager: zwei alte Matratzen aus grau-weißem, mit Stroh gefülltem Streifenstoff, bedeckt mit kratzigen braunen Wolldecken, die an den Seiten rot eingefasst sind und ein Rotkreuzemblem tragen. An der Wand und auf dem Boden davor liegen Schaffelle, braun, grau, gefleckt, verfilzt, das Leder brüchig. Um das Lager herum Zeitungsstapel, benutzte Teller, leere Wasserflaschen, Aschenbecher. An der gegenüberliegenden Wand stehen drei alte
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