Bettler 01 - Bettler in Spanien
dem Vakuum, weg von dem Loch; Alice mit ihrer Körperfülle, massiv und verläßlich wie Mutter Erde, die Leisha vor dem Abgleiten bewahrte; Alice, an die sie nun herankommen konnte, nun, da Alice etwas gewußt hatte, bevor Leisha es wußte; nun, nachdem Alice Leisha gerettet hatte, indem sie zum einzigen wurde, das Leisha noch nicht verloren hatte.
»Ich wußte es!« flüsterte Alice. Und dann, lauter: »Und jetzt kann ich endlich aufhören, dir diese vertrottelten Blumen zu schicken!«
Erst sehr viel später, nachdem sie stundenlang geredet hatten und Alice schläfrig dreinzusehen begann, klingelte das ComLink. Leisha hatte es abgeschaltet; nur ein Anruf mit allerhöchstem Dringlichkeitscode konnte durchkommen. Sie wandte den Blick zum Bildschirm. Zwei Paßwörter leuchteten dort auf; die wirre Logik des Gerätes hatte sie beide gleichzeitig akzeptiert und jedem Lautsprecher eine Stimme zugeteilt:
»Susan Melling hier. Ich muß…«
»Hier spricht Stella Bevington. Ich habe mich gerade in die Nachrichten eingeklinkt. Der…«
»… sofort mit dir reden! Ruf…«
»… Anhänger, von dem die Meldungen sagen, daß er…«
»… mich über einen abgeschirmten…«
»… in dieser Parkgarage gefunden wurde…«
»… Anschluß an, sobald du kannst!«
»… gehört mir!«
»Wir haben unsere Untersuchungen jetzt zu Ende gebracht«, sagte Susan aus dem Bildschirm. Ihr graues Haar stand in fettigen Strähnen von einem schlampigen Knoten ab. »Gaspard-Thiereux und ich. Bezüglich Walcotts redundanter Schlaflosen-Codes in der DNA.«
»Und?« sagte Leisha emotionslos.
»Ist das eine abgeschirmte Leitung? Verdammt, vergiß es. Soll die Presse uns doch anzapfen. Und Sanctuary auch. He, Blumenthal! Hörst du auch gut zu?«
»Susan, bitte…«
»Kein Bitte. Und auch kein Danke. Gar nichts. Das ist es, warum ich es dir persönlich sagen wollte. Überhaupt nichts. Die Berechnungen funktionieren nicht…«
»Funk…?«
»Zwischen der Stillegung des Schlafmechanismus in einem präembryonalen genetischen Stadium und dem Versuch, dasselbe nach acht Tagen zu tun, wenn das Gehirn bereits begonnen hat zu differenzieren, klafft eine Lücke, die nicht überbrückt werden kann. Die Gründe dafür sind absolut klar, absolut unmißverständlich und absolut endgültig. Sie haben mit der Verträglichkeit der genetischen Fluktuationen in jenen genetischen Informationen zu tun, bei denen es sich um reine Wiederholungen der Steuerungsabläufe handelt. Die Details sind uninteressant für dich – jedenfalls steht fest, daß wir nie in der Lage sein werden, einen Schläfer zu einem Schlaflosen zu machen. Nie. Niemand. Weder Walcott, noch die Superhirne in Sanctuary, keine Macht der Welt. Walcott ist ein Lügner.«
»Ich… wie meinst du das?«
»Ich meine, daß er sich die ganze Sache aus dem kleinen Finger gesogen hat. Alles sieht sehr plausibel aus, jedenfalls plausibel genug, um einen guten Wissenschaftler eine ganze Weile zu beschäftigen, ehe er es durchschaut. Aber es bleibt eine Lüge, und es ist ein Ding der Unmöglichkeit, daß ein ernstzunehmender Wissenschaftler, der seinen berühmten letzten Schritt mit Absicht zurückhält, sich dessen nicht bewußt ist. Walcott wußte es. Seine Forschungen sind ein Lügengespinst. Er kam zu dir mit seiner umwerfenden Entdeckung, von der er wußte, sie würde sich als Lüge herausstellen, und Sanctuary beging einen Betrug, um an Patente heranzukommen, die nichts als Lüge sind, und Jennifer Sharifi steht einer Lüge wegen als Mörderin vor Gericht.«
Es war zuviel für Leisha. Nichts davon ergab Sinn! Es kam ihr zu Bewußtsein, wie reglos Alice am anderen Ende des Zimmers dastand. »Aber wozu?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Susan. »Aber es ist alles Lüge. Hört ihr das alle? Ihr von der Presse? Ihr von Sanctuary? Es ist eine Lüge!«
Sie begann zu weinen.
»Susan… Susan…!«
»Nein, nein, sag nichts! Tut mir leid, ich wollte wirklich nicht weinen. Genau das wollte ich nicht tun… Wer ist das bei dir im Zimmer? Du bist nicht allein?«
»Alice«, sagte Leisha. »Sie…«
»Es ist nur, daß ich gedacht habe, ich könnte zu dem werden, was ich geschaffen habe. Dumme Vorstellung, wie? Wo uns doch die ganze Literatur zeigt, daß ein Schöpfer niemals zu seiner Schöpfung werden kann.«
Leisha sagte nichts darauf. Ebenso abrupt, wie sie damit begonnen hatte, hörte Susan zu weinen auf, und die Tränen trockneten auf ihrer alten, weichen, welken Haut. »Das würde sich
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