Bettler 01 - Bettler in Spanien
als alle tranken und recht sorglos waren. Die Party, zu der du ihn gezwungenermaßen einladen mußtest, weil er dir vorher keine Ruhe gab. Und dort ist er auch an Stellas Anhänger herangekommen. Jennifer hatte ihr einen geschickt, denn sie wollte Stella unbedingt in Sanctuary haben und versuchte, sie damit zu einer Entscheidung zu zwingen. Stella trug den Anhänger um den Hals, aber sie nahm ihn bei der Party ab, weil sie wieder einmal sah, wie freundlich und tolerant Schläfer wie deine Mutter sein konnten.«… ach, Papa, wie besonders Alice ist…! »Hawke nahm den Anhänger aus ihrer Handtasche. Stella meldete Jennifer den Verlust, aber ohne Einzelheiten. Aus Rücksicht auf mich…«
Leisha wandte sich ab. Jordan gestattete sich kein Mitgefühl, keine Anteilnahme. Leisha, dachte er, verliert ja nichts. Der Mörder ist ein Schläfer.
»Jennifer wußte, daß niemand zufällig herausfinden würde, was es mit dem Anhänger auf sich hatte, und falls man daran herumprobierte, würde er sich selbst zerstören. Daher machte sie sich keine großen Sorgen, daß Stella ihn verloren hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Jennifer bereits Hawkes Köder in Form der Patente geschluckt. Jordan, es hat nie irgendein Verfahren existiert, das Schläfer zu Schlaflosen machen könnte! Hawke gab Walcott und Herlinger den Auftrag, so zu tun, als ob sie es entdeckt hätten, und das Ganze auf eine wissenschaftlich plausible Grundlage zu stellen… Verdammt, er arrangierte die ganze Sache bis ins letzte Detail! Nur damit Sanctuary in die staatlichen Datennetze einbrechen und die Patentakten zurückreihen würde! Dann konnte er Walcott dazu benutzen, den Diebstahl anzuzeigen, konnte die Medien aufscheuchen, und selbst ohne Anklageerhebung würde Sanctuary Prügel beziehen. Und die Zahl der neuen Mitglieder bei Wir schlafen! würde nach oben schnellen.«
Was prompt eingetroffen ist, dachte Jordan. Hawke war immer schon ein guter Planer gewesen. Über der Fabrik angekommen, begann das kleine Flugzeug hinabzusinken.
»Doch dann überlegte es sich Herlinger anders. Er bekam einen Anfall von schlechtem Gewissen und schickte sich an, Walcott und Hawke auffliegen zu lassen. Also ließ Hawke ihn ermorden.«
Und das war auch typisch für Leisha, fand Jordan. Sie dachte nicht: Herlinger versuchte, seine Partner zu erpressen, und so ließen sie ihn umbringen. Oder: Herlinger Heß sich in einen Machtkampf mit Hawke ein, und so brachte Hawke ihn um. Nein, sie setzte schlechtes Gewissen voraus, selbst in dieser Situation. Sie setzte einen anständigen Kern und Sinn für bürgerliches Wohlverhalten voraus. »Sie gehört ins achtzehnte Jahrhundert«, hatte Hawke gesagt. Mit Spott in der Stimme.
»Du weißt nicht, ob das stimmt, was du sagst«, bemerkte Jordan. »Aber falls es stimmt und Hawke mich außerdem so genau überwachen läßt, daß er von unserem Kommen bereits weiß… dann werden keine Beweise mehr vorhanden sein, wenn wir eintreffen.«
Leisha sah ihn mit ihren strahlenden Augen an. »Es wären ohnedies nie welche vorhanden gewesen. Jedenfalls keine auffindbaren Beweise.«
»Warum kommen wir dann überhaupt her?«
Sie antwortete nicht.
Die Einfahrt war nicht durch ein Kraftfeld geschützt. Die Wache – nicht Mayleen – winkte sie durch.
Hawke wartete in seinem Büro; er lehnte lässig an der Schreibtischfront und hatte die Hände flach auf die Holzplatte gestützt. Auf dem Schreibtisch befand sich im übrigen das ganze wohlbekannte Arrangement: die Cherokee-Puppen, der Harvard-Kaffeebecher, das Modell des Wir schlafen! -Rollers, der Stapel fehlerhaft und ungelenk beschrifteter Briefe von dankbaren Arbeitern, die nach Jahren wieder einen Job gefunden hatten, die Plaketten und Schreibgarnituren und vergoldeten Statuetten, die Hawke von anderen Wir schlafen! -Unternehmen überreicht worden waren. Einiges davon hatte Jordan noch nie zu Gesicht bekommen; Hawke mußte es Stück für Stück hervorgeholt und mit größter Sorgfalt so auf dem Tisch plaziert haben, daß seine gewaltige Statur nicht den Blick darauf verstellte. All die billigen Ehrungen von hart rackernden Betrieben, all die Fetische zweifelhafter Erfolge… Als er sie erblickte, spürte Jordan, wie es ihm kalt über den Rücken lief. Dann war es also Realität. Nicht bloß Wahrheit, sondern Realität: Hawke hatte gemordet.
»Miss Camden«, sagte Hawke.
Leisha verschwendete keine Sekunde Zeit. Ihre Stimme klang zwar beherrscht, aber das gespenstische Licht umgab sie immer noch.
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