Bettler 01 - Bettler in Spanien
auch nicht schicken, Leisha, nicht wahr? Wenn plötzlich aus allen Schöpfern ihre Schöpfungen würden. Wer würde denn noch in der Küche stehen, um die Gerichte zu perfektionieren, wenn wir alle Gäste sein wollten?« Und dann fügte sie in völlig verändertem Tonfall hinzu: »Schieß Walcott ab, Leisha. Wie irgendeinen Quacksalber, der Todkranken wertlose Hoffnungen verkauft. Zertritt diese Laus!«
»Das werde ich tun«, sagte Leisha. Aber sie meinte nicht Walcott. In einem plötzlichen schwindelerregenden Gedankenblitz wurde ihr klar, wer es gewesen war, der einen Diebstahl begangen hatte, und warum.
15
Jordan öffnete die Wohnungstür, schläfrig und verwundert. Es war vier Uhr dreißig morgens. Leisha Camden stand vor ihm, zusammen mit drei schweigenden Leibwächtern.
»Leisha! Was…?«
»Komm mit! Rasch. Ich bin sicher, daß Hawke schon weiß, daß ich hier bin. Es gab keine Möglichkeit, dir anzukündigen, daß ich komme, ohne daß er davon erfahren hätte. Zieh dich an, Jordan. Wir fahren zur Wir schlafen! -Fabrik.«
»Ich…«
»Jetzt gleich! Beeil dich!«
Jordan erwog, ihr zu erklären, daß er die Fabrik nicht mehr betreten würde – nicht jetzt und nicht in Zukunft. Doch ein eingehenderer Blick überzeugte ihn, daß Leisha auch allein hinfahren würde, und das wollte er keinesfalls. Leisha trug einen langen blauen Pullover über einem schwarzen Stretchanzug. Bläuliche Schatten lagen unter ihren Augen. Sie stand ein wenig vorgeneigt, als würde sie jeden Moment an Jordans Brust sinken, und plötzlich war ihm klar, daß sie ihn brauchte. Nicht für physischen Schutz: zusammengenommen wogen die drei Leibwächter gut und gern dreihundert Kilogramm – ohne ihre Waffen; sie brauchte ihn aus irgendeinem anderen dringenden Grund, den Jordan nicht kannte.
»Ich mache schnell«, sagte Jordan.
In dem dunklen Flur hob Joey den Kopf von seiner überdimensionierten Schlafstatt. »Leg dich wieder hin«, sagte Jordan. »Alles in Ordnung.« Leisha, und sie brauchte ihn! Er schüttelte den Kopf.
Auf dem Parkplatz des Apartmenthauses stand ein Flugzeug, mit kurios ineinandergefalteten Flügeln, die ihm erlaubten, vertikal zu starten und zu landen. Definitiv kein Luftwagen – es war eindeutig ein Flugzeug. Auf dem Instrumentenbrett befand sich nicht der geringste Hinweis auf die Herstellerfirma. In der Luft entfaltete sich der Vogel und schoß über die schlafende Stadt hinweg zum Fluß.
»Also Leisha, jetzt sag mir, was das Ganze soll.«
»Hawke hat Timothy Herlinger umgebracht.« In Jordans Innerem regte sich etwas; er wußte, was es war: die Wahrheit. Winzig, tödlich, wie eines dieser Giftkügelchen, die sich im Herz von Selbstmordkandidaten auflösten. Man brauchte es nur zu schlucken, und dann war der schwierigste Teil auch schon vorbei, denn der Rest lief unaufhaltsam und nicht umkehrbar und ganz von allein ab. Jordan spürte, wie die Wahrheit sich regte, und wußte, daß sie schon lange, bevor Leisha sie ausgesprochen hatte, da drin gewesen war. Schon bei dem Firmenfest, bei Jordans zwiespältiger Bewunderung Hawke gegenüber, bei der Auseinandersetzung wegen Joey, ja selbst bei Mayleens neuer Toilette und ihren Klöppelkissen. Sie lag in der Wir schlafen! -Bewegung selbst.
Er sah Leisha an. Ein Licht schien von ihr auszugehen – ein hartes, gespenstisches Licht wie das der Y-Felder, die über gefährliche Maschinen gelegt wurden, um die Aufmerksamkeit der Bedienungsmannschaft zu erhöhen. Sie wiederholte: »Hawke hat Doktor Herlinger umgebracht. Er war der Urheber der ganzen Sache.« Jordan hörte sich sagen: »Und das macht dich froh.« Sie wandte ihm ihr entsetztes Gesicht zu. In dem engen Cockpit des Flugzeugs sahen sie einander aus nächster Nähe in die Augen; die drei Leibwächter waren nichts als regloser Hintergrund. Jordan hatte das nicht sagen wollen, aber als die Worte ausgesprochen waren, wußte er, daß auch sie der Wahrheit entsprachen. Sie war froh darüber. Daß es Hawke gewesen war und nicht ein Schlafloser. Freude. Das war die Quelle des gespenstischen Lichts und ihres Bedürfnisses, ihn, Jordan bei sich zu haben.
»Zeuge der Anklage«, bemerkte er mit einer Stimme, die der seinen so wenig ähnlich war, daß Leisha sagte: »Wie bitte?«
»Nicht wichtig. Also schieß los.«
Sie zögerte keinen Moment. »Das Netzhautbild auf dem Scanner gehört Stella Bevington. Hawke muß es bei der Party aufgenommen haben, die deine Mutter für Beck gab, damals in dem neuen Haus,
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