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Bettler 01 - Bettler in Spanien

Titel: Bettler 01 - Bettler in Spanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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konfessionell verwurzelter Spießigkeit.
    Es war der Schlaf, um den es hier ging! Wie wohl jeder zurecht annehmen durfte…
    Nicht, daß Leisha von den Vertretern des Anwaltsberufes erwartet hätte, immer ganz sauber vorgehen zu können. Kein Prozeßanwalt erwartete das – nicht nach Jahren des Feilschens um herabgesetzte Strafen bei Schuldeingeständnissen, um Meineide, um bestechliche Polizisten, um politische Händel, um falsch angewendete Rechtsvorschriften und voreingenommene Geschworene. Aber Leisha hätte gedacht, daß das Gesetz selbst – ganz für sich genommen und abgesehen von seiner Umsetzung in die Praxis – wenn schon nicht sauber, so doch umfassend war. Umfassend genug.
    Sie entsann sich des Tages, an dem sie erkannt hatte, daß das Wirtschaftssystem der Yagaiisten nicht umfassend genug war. Die Betonung der Höchstleistung des Individuums überging zu viele Phänomene, zu viele Menschen: diejenigen, die keine Höchstleistung vorweisen konnten und nie dazu in der Lage sein würden: die Bettler, die nichtsdestoweniger eine ganz bestimmte, wenngleich schwer zu definierende Rolle beim Lauf der Welt zu spielen hatten. Sie hingen wie Parasiten im Fell eines Säugetiers, das sie zu tobsüchtigem Kratzen reizen, bis es blutet – deren Eier jedoch anderen Insekten als Nahrung dienen, die ihrerseits wieder von jenen gefressen werden, welche die Vögel dick und fett machen, damit der kleine Allesfresser, der sie fängt, anschließend dem gepeinigten Säugetier schmeckt. Eine blutige Ökologie des Tausches, um die geradlinigen yagaiistischen Verträge zu ersetzen, die im luftleeren Raum standen. Diese Ökologie war umfassend genug, um Schläfer und Schlaflose einzuschließen, Produktive und Bettler, die Hervorragenden und die Mittelmäßigen und die scheinbar Wertlosen. Und was diese Ökologie in Gang hielt, war das Gesetz.
    Doch wenn das Gesetz selbst nicht umfassend genug war?
    Nicht umfassend genug, um das zu berücksichtigen, was ein Schlafloser tun würde – nicht konkret beweisbar, aber so klar wie Luft? Um das zu berücksichtigen, was zwischen Richard und ihr vorgefallen war. Um nicht nur zu berücksichtigen, was Jennifer getan hatte, sondern auch warum. Und um in erster Linie diesen unbeschreiblichen Neid zu berücksichtigen, der so machtvoll war wie die genetische Struktur selbst, der sich aber jeder Spaltung, Veränderung und Eliminierungsbestrebung widersetzte. Der Neid auf die Starken. Keinen Augenblick lang war das Gesetz in der Lage gewesen, diesen Neid zu berücksichtigen. Die Legislatur hatte endlose Bürgerrechtsbestimmungen hervorgebracht, um schädliche Vorurteile gegen gewisse, biologisch klar Identifizierbare zu korrigieren: gegen Schwarze, gegen Frauen, gegen Mexikaner. Gegen die Behinderten. Aber nie zuvor waren in den Vereinigten Staaten die Ziele des Neides und die Ziele des biologischen Vorurteils identisch gewesen. Das zu berücksichtigen, war das Gesetz der Vereinigten Staaten nicht umfassend genug.
    Leisha beugte den Kopf auf die Knie. Es war ihr völlig klar, wie der Prozeß weitergehen würde. Ihre eigene Zeugenaussage würde von Sandaleros als das schlaue Taktieren einer eifersüchtigen Geliebten gegen die rechtmäßige Ehefrau hingestellt werden. Richard würde in ein schlechtes Licht gestellt werden. Hossack würde immerzu seine Stärke ausspielen: die Macht von Sanctuary. Die Macht der Schlaflosen. Sandaleros würde nicht zulassen, daß Jennifer aussagte; in den Augen von Schläfer-Geschworenen wäre ihre Gefaßtheit wohl nur als Kaltblütigkeit zu deuten und ihr Bestreben, sich und ihresgleichen zu schützen, als ein Angriff auf die Außenwelt.
    Was es ja auch gewesen war.
    Den Geschworenen standen zwei Wege offen: entweder ein Freispruch im Hinblick auf das mögliche Liebesdreieck. Dann würde Jennifer ungestraft davonkommen. Oder eine Verurteilung, und dann würde Jennifer das Gefängnis und ihre Mitgefangenen nicht überleben. Sanctuary würde sich noch tiefer in sich selbst zurückziehen und wie eine mächtige Spinne elektronische Netze zu seinem eigenen Schutz spinnen – über ein Land von Schläfern, die von wachsender Angst vor Menschen erfüllt waren, die sie selten zu Gesicht bekamen, mit denen sie keine Verbindung hatten und von denen sie nie kaufen würden, damit die Schlaflosen nicht jene Wirtschaft zugrunderichten konnten, deren Antrieb oder Getriebene sie waren – was von beidem zutraf, das wußte niemand so recht. Im geheimen kontrollieren sie alles,

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