Bettler 02 - Bettler und Sucher
sterben. »Was mir gehört, gehört auch dir, Drew«, sagt Miranda. Sie hat es schon etliche Male gesagt. Miranda, eine SuperSchlaflose, erklärt mir oft etwas mehrere Male. Sie ist sehr geduldig.
Aber selbst mit all ihren Erklärungen ist mir nicht klar, was Miri und die SuperS eigentlich in Huevos Verdes tun. Ich dachte, ich wüßte es, damals, vor acht Jahren, als die Insel geschaffen wurde. Aber seither sind eine Menge neuer Wörter aufgetaucht. Ich kann die Wörter wiederholen, aber ich habe kein Gefühl für ihre Formen. Es sind Wörter ohne konkrete Gestalt: Auxotrophen. Allosterische Wechselwirkungen. Nanotechnik. Photophosphorylierung. Lawson-Reduktionsformeln. Neomarxistisch unterstützte Evolution. Die meiste Zeit nicke und lächle ich bloß.
Aber ich bin der Lichte Träumer. Wenn ich auf die Bühne schwebe und ein grölendes Nutzer-Publikum in die Trance des Lichten Träumens versetze, wenn Musik, Worte und Formenkombinationen von meinem Unterbewußtsein durch die von Schlaflosen entworfenen Geräte fließen, dann berühre ich es an Stellen, von denen die Leute vorher nicht einmal wußten, daß sie die hatten. Sie fühlen intensiver, leben glücklicher, werden zu einem geschlosseneren Ganzen.
Zumindest solange mein Auftritt dauert.
Und danach ist mein Publikum auf feine Weise verändert. Auch wenn es das selbst nicht merkt. Auch wenn es die Macher nicht merken, die für meine Vorstellungen zahlen, weil sie sie als Brot-und-Spiele-Zirkusnummer, als okkulten Mist für die Massen betrachten. Und Leisha merkt es auch nicht. Aber ich weiß, ich habe mein Publikum in der Hand gehabt, ich habe es verändert – und ich bin der einzige auf der Welt, dem diese Macht gegeben ist. Der einzige.
Ich bemühe mich stets, daran zu denken, wenn ich mit Miranda zusammen bin.
Leisha saß mir gegenüber am Tisch und sagte: »Drew, was machen sie dort auf Huevos Verdes?«
Ich nahm ein Schlückchen Kaffee. Auf einem Teller lagen frische GenMod-Trauben und Beeren, und auf einem anderen kleine buttrige Kuchen, die nach Zitronen und Ingwer dufteten. Es gab frische Sahne zum Kaffee. Die Bibliothek in Leishas Landgut in New Mexico war hoch und luftig, und in den hellen, warmen Erdfarben darin klang die Wüste draußen vor den großen Fenstern nach. Zwischen den Monitoren und Bücherregalen standen Skulpturen nackter, anmutiger Gestalten, deren Schöpfer ich nicht kannte. Zarte, altmodische Musik spielte leise.
»Was ist das für eine Musik?« fragte ich.
»Claude de Courcy.«
»Noch nie gehört von ihm.«
»Von ihr. Eine Komponistin von Lautenmusik aus dem sechzehnten Jahrhundert«, sagte Leisha ungeduldig, was nur unterstrich, wie nervös sie war. Für gewöhnlich rief sie in meinem Kopf saubere, klar umrissene Figuren hervor, die von innen leuchteten und schimmerten.
»Drew, du antwortest mir nicht. Was machen Miri und die anderen SuperS auf Huevos Verdes?«
»Ich antworte dir seit acht Jahren. Ich weiß es nicht!«
»Das glaube ich nicht.«
Ich sah sie an. Irgendwann letztes Jahr hatte sie sich das Haar kurz geschnitten; vielleicht wurde es eine Frau nach einhundertsechs Jahren müde, sich um ihre Frisur zu kümmern. Aber sie sah immer noch aus wie fünfunddreißig. Schlaflose altern nicht, und bislang sterben sie auch nicht, es sei denn durch Unfälle oder Mord. Ihre Körper regenerieren sich laufend – ein unerwarteter Nebeneffekt der bizarren gentechnischen Veränderungen, die ihnen auf den Lebensweg mitgegeben wurden. Und die erste Generation von Schlaflosen hatte man – im Gegensatz zu Mirandas Generation – nicht so von Grund auf verändert, daß die Kontrolle über das äußere Erscheinungsbild verlorenging. Leisha würde schön sein bis zu ihrem Tod.
Sie hatte mich erzogen. Sie hatte mich unterrichtet, soweit es meine Intelligenz zuließ, die einst vielleicht als normal gegolten haben mochte, sich aber nicht im entferntesten mit dem durch Genmanipulation hochgeschraubten IQ von Machern messen konnte, geschweige denn mit jenem von Schlaflosen. Als ich durch einen verrückten Unfall mit zehn Jahren den Gebrauch meiner Beine verlor, kaufte Leisha mir meinen ersten Rollstuhl. Leisha hatte mich als Kind geliebt und sich geweigert, mich zu lieben, als ich zum Mann wurde; sie hatte mich Miranda übergeben. Oder Miranda mir.
Sie stützte sich mit den Handflächen auf den Tisch und beugte sich vor. Mir wurde klar, was kommen mußte. Leisha war Rechtsanwältin. »Drew, du hast meinen Vater nie
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