Bettler 02 - Bettler und Sucher
ein echter Nutzer geblieben, guter Sir. Hat Ihnen nicht geschadet, die ganze Zeit, die Sie bei den Machern und den Schlaflosen zugebracht haben. Aber so ist das nun mal, wenn’s einem im Blut liegt, wie?«
Irgend etwas stimmte nicht mit seiner Sprechweise. Ich horchte ein bißchen auf den Nachhall seiner Worte, und dann konnte ich den Finger drauf legen: Er sprach nicht wie ein Nutzer, aber er sprach auch nicht wie ein Macher; etwas Künstliches lag über seinen Sätzen, und ich hatte diese Art von Gerede schon irgendwo gehört, aber ich wußte nicht mehr, wo.
Ich sagte, um ihn zum Weiterreden zu animieren: »Der Francis-Marion-Freiheits-Stützpunkt? Wer ist Francis Marion?«
Hubbley kniff die Augen zusammen und rieb die Geschwulst an seinem Hals. »Sie haben noch nie von Francis Marion gehört, Mister Arlen? Ehrlich nicht? Ein feiner, gebildeter Herr wie Sie? Er war ein Held, Francis Marion, vielleicht der größte Held, den dieses Land je hervorgebracht hat. Sie haben wirklich noch nie von ihm gehört, Sir?«
Ich schüttelte den Kopf. Es tat nicht weh. Jetzt fiel mir erst auf, daß man mein Bein geschient hatte. Sie hatten mir schmerzstillende Mittel gegeben. Ein Doktor mußte mich verarztet haben, oder zumindest ein MedRob.
»Also, ich hatte gewiß nicht die Absicht, Sie in Verlegenheit zu bringen«, sagte Hubbley ernsthaft. Sein langes Pferdegesicht strahlte Mitgefühl aus. »Wo Sie doch unser Gast sind. Gehört sich nicht, einen Gast wegen seiner Unkenntnis in Verlegenheit zu bringen, besonders, wo er doch nichts kann für diese Unkenntnis. Es liegt am Schulsystem, und das ist eine Schande für eine Demokratie. Daran liegt’s. Einzig daran. Also lassen Sie sich keine grauen Haare wachsen, Sir, denn wenn Sie nichts von Francis Marion wissen, dann isses gewiß nicht Ihre Schuld.«
Er hatte Leisha umgebracht. Er hatte drei AEGS-Agenten umgebracht. Er hatte mich entführt. Und da saß er nun und sorgte sich, daß ich mich grämen könnte, weil ich nicht wußte, wer Francis Marion war.
Zum erstenmal kam mir zu Bewußtsein, daß ich es hier mit einem Geistesgestörten zu tun haben könnte.
»Francis Marion war ein großer Held im Unabhängigkeitskrieg, mein Junge. Der Feind nannte ihn den ›Moorfuchs‹. Er versteckte sich in den Sümpfen von South Carolina und Georgia und überfiel die Briten, wenn sie’s am allerwenigsten erwarteten, ehe er wieder verschwand im Sumpf. Kriegten ihn nie zu fassen. Er kämpfte für Freiheit und Gerechtigkeit und er machte sich die Natur zu seiner Bundesgenossin. Nicht zu seinem Widersacher.«
Jetzt hatte ich es!
Vor vielen Jahren hatten Leisha und ich einmal eine ganze Nacht lang alte Filme über irgendeine Bürgerrechtsbewegung angesehen. Nicht über die Bürgerrechte von Schlaflosen, sondern über eine Bewegung, die lange davor existiert hatte – hundert Jahre davor? –, und die sich auf Frauen oder Schwarze bezog. Oder vielleicht auf Asiaten. Ich war noch nie gut in Geschichte. Aber damals mußte ich eine Hausarbeit verfassen, für eine der Schulen, durch die Leisha mich unbedingt bringen wollte. Ich erinnere mich nicht an die Geschichte, aber ich erinnere mich, daß Leisha nach alten, mit Hilfe neuer Techniken bearbeiteten Filmen gesucht hatte, weil sie dachte, die vorgeschriebenen Bücher würde ich ohnedies nicht lesen. Damit hatte sie natürlich recht gehabt, und das störte mich gewaltig, damals, denn ich war sechzehn. Aber die Filme gefielen mir. Ich saß in meinem Rollstuhl, ganz aufgekratzt, weil es drei Uhr morgens war und ich keinen Schlaf hatte und demnach mithalten konnte mit Leisha. Das dachte ich damals, mit sechzehn, wirklich noch.
Die ganze Nacht lang sahen wir Sheriffs in Straßenwagen herumflitzen und Lokale kurz und klein schlagen, wo die Stimmberechtigten sich noch persönlich in Wählerlisten eintragen mußten – das war noch vor der Erfindung von Computern. Wir sahen alte Frauen im Heck von Autobussen sitzen. Wir sahen schwarze Nutzer, denen man einen Platz in der Cafeteria verweigerte, obwohl sie Essenchips hatten. Und diese Leute hatten alle wie James Francis Marion Hubbley gesprochen – oder, besser, er sprach wie sie. Seine Sprechweise war eine willentliche Schöpfung, eine Neuinszenierung alter Zeiten: der Geschichte, soweit sie elektronisch zur Verfügung stand. Vielleicht dachte er wirklich, daß die Leute zur zeit des Unabhängigkeitskriegs so geredet hatten. Vielleicht war ihm klar, daß das nicht stimmte. Wie auch immer, es war
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