Bettler 02 - Bettler und Sucher
damit beschäftigt, den SchälerRob auseinanderzunehmen.
Während der nächsten sechs Wochen verbrachte Lizzie ihre ganze freie Zeit vor dem Hotelterminal, wo sie sich Zugang zur allgemeinbildenden Software des enorm umfangreichen öffentlichen Macher-Bibliothekssystems verschaffte. Sie tauchte zu den unmöglichsten Zeiten im Hotel auf – am frühen Morgen mit nassen Haaren direkt aus dem Bad oder in der Abenddämmerung, jedenfalls zu Zeiten, wenn Annie offenbar dachte, sie würde mit ihren Freundinnen Carlena und Susie, zwei munteren, strohdummen Gänschen, spielen. Und ebenso abrupt verschwand Lizzie wieder – ein Missetäter, der sich vom Schauplatz des Bildungsverbrechens davonstahl, um sich zum Abendbrot oder zum Kirchgang einzufinden. Ich wußte nicht, ob sie auch mitten in der Nacht vor dem Terminal hockte; ich lag vernünftigerweise im Bett und schlief. Sie lernte in einem unheimlichen Tempo, sobald sie etwas Wesentliches entdeckte, das es wert war, gelernt zu werden. Ich überprüfte nicht, was sie abrief, und meine Kommentare beschränkte ich auf die Gelegenheiten, wenn sie mit Fragen zu mir kam. Nach dem ersten Tag konzentrierte sie sich im großen und ganzen auf Computersysteme, sowohl auf theoretischer Ebene als auch auf die Anwendungspraxis.
Innerhalb einer Woche zeigte sie mir, wie sie einen immer noch funktionierenden PutzRob zum Tanzen programmiert hatte, indem sie seine normalen Bewegungen kombinierte, beschleunigte und steuerte. Das Ding schwofte in meinem trübsinnigen Hotelzimmer herum wie ein metallischer Derwisch. Lizzie lachte so übermütig, daß sie vom Bett fiel und quietschend auf dem Boden liegenblieb, die Arme um ihre kaum vorhandenen Hüften gewunden, und wiederum bewegte sich dieses unwillkommene Etwas heiß wie Blut in meiner Brust.
Innerhalb eines Monats hatte sie sich durch die ersten beiden Jahrgänge der von der Amerikanischen Gesellschaft für Bildungswesen anerkannten Schulsoftware für höheres Computerwissen durchgearbeitet.
Nach sechs Wochen führte sie mir ausgelassen vor, wie sie in die Datenbanken der Haller Corporation eingebrochen war. Ich lugte über ihre Schulter und fragte mich, ob die Sicherheits-Software bei Haller das Eindringen wohl bis nach East Oleanta rückverfolgen konnte, wo eigentlich niemand über die Fähigkeit verfügen sollte, in eine Datenbank einzubrechen. Überwachte die AEGS auch Einbrüche in Firmencomputer?
Ich litt bereits an Verfolgungswahn! Es gab locker eine Viertelmillion Hacker im Teenageralter, die nur deshalb in Firmendatenbanken herumschnüffelten, um sich die Treffer als technische Federchen an den Hut stecken zu können.
Aber das waren ausnahmslos Macher-Kinder.
»Lizzie«, sagte ich, »kein Computerknacken mehr. Tut mir leid, Schätzchen, aber das ist gefährlich.«
Sie preßte die Lippen zusammen, eine mißtrauische kleine Annie. »Gefährlich? Wieso?«
»Sie könnten dir auf die Spur kommen, hier auftauchen und dich festnehmen. Und dich in den Knast schicken.«
Ihre schwarzen Augen wurden ganz groß. Sie hatte Respekt vor der Obrigkeit, oder zumindest vor der Macht. Eine ängstliche kleine Annie.
»Versprich es!« sagte ich unbarmherzig.
»Ich versprech’s.«
»Und jetzt sag’ ich dir noch etwas. Morgen fahre ich mit der Gravbahn…« – vorübergehend funktionierte sie wieder – »nach Albany und kaufe dir einen kleinen Computer, den du in der Hand halten kannst, und eine Kristallbibliothek. Darin steckt weitaus mehr, als du von hier aus abrufen kannst. Du wirst nicht glauben, was da alles auf dich wartet!« Und außerdem konnte ein nicht vernetzter Computer nicht aufgespürt werden. Ich würde das ›Darla-Jones‹-Konto plündern, das angesichts der hohen Kosten für die Kristallbibliothek und das kompatible Gerät hinterher ziemlich leer sein sollte. Vielleicht wäre es besser, überlegte ich, weiter zu fahren als nur bis Albany, um die Sachen zu erstehen. Vielleicht nach New York.
Lizzie starrte mich an; es hatte ihr die Sprache verschlagen – zum erstenmal, seit ich sie kannte. Ihr rosaroter Mund formte ein kleines ›o‹, und dann stürzte sie sich auf mich und umarmte mich stürmisch. Sie roch nach Seife, Marke Lagerhaus, und nuschelte in meinen Hals. »Vicky…! Eine Kristallbibliothek! O Vicky…!«
Für dich, Kind. Ich sagte nichts, ich konnte nicht.
Anthony, der vor Russell und hinter Paul kam, erklärte mir einmal, daß so etwas wie Mutterinstinkt nicht existiere – und selbstverständlich
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