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Bettler 02 - Bettler und Sucher

Titel: Bettler 02 - Bettler und Sucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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besitzt, schon nach kurzer Bekanntschaft über dieses Wissen zu verfügen, achtzehn Monate mit einem Russell verbracht haben?
     
    Zwei Tage nach Billys Rückkehr aus den Wäldern verkündete Annie: »Gravbahn is’ schon wieder im Eimer.« Das sagte sie natürlich nicht zu mir. Ich saß zwar in ihrer Wohnung, wo ich Lizzie besuchte, aber Annies offizielle Kenntnisnahme meiner Person stand noch aus. Sie sah mir nicht ins Gesicht, sie sprach nicht mit mir, sie manövrierte ihre beachtliche Leiblichkeit in einem Bogen um den Platz herum, den ich einnahm, als wäre ich ein unerklärliches und äußerst hinderliches Schwarzes Loch. Wahrscheinlich hatte Billy mich nur deshalb eingelassen, weil ich mit zwei Armen voll Nahrungsmitteln und Sachen aus dem Lagerhaus aufgetaucht war – alles bezogen auf ›Victoria Turners‹ Chips –, um beizutragen zum Wachstum der Vorratsstapel an den Wänden. Langsam begann Annies Bleibe zu riechen wie eine Deponie, wo die müllfressenden Mikroorganismen mit der Arbeit nicht nachkamen.
    »Un’ wo is’ es?« fragte Billy. Er meinte die Stelle, wo der Zug auf seiner magnetischen Trasse hängengeblieben war.
    »Gleich hier«, antwortete Annie. »Keine fünfhundert Meter außerhalb der Stadt, sagt Celia Kane, das sagt sie. Paar von den Leuten sin’ so fuchtig, die wollen den Zug anzünden, sagt sie.«
    Interessiert blickte Lizzie von dem Mini-Terminal mit ihrer heißgeliebten Kristallbibliothek auf. Ich hatte Annies Reaktion auf dieses Geschenk nicht miterlebt, aber Lizzie hatte sie mir geschildert. Der einzige Grund, weshalb Lizzie sich immer noch daran erfreuen durfte, war darin zu finden, daß sie gedroht hatte, mit der nächsten Gravbahn für immer zu verschwinden. Sie war schließlich zwölf, hatte sie ihrer Mutter erklärt, und eine Menge junges Volk verließ das Elternhaus mit zwölf. Ich nehme an, es stimmte, daß Nutzer-Sprößlinge mit ihren überall gültigen Essenchips kamen und gingen, wie es ihnen beliebte. Und das war der Zeitpunkt, zu dem Annie aufgehört hatte, das Wort an mich zu richten.
    »Die Gravbahn, die kann brennen?« erkundigte sich Lizzie.
    »Ne«, entschied Billy. »Un’ außerdem is’ es gegen das Gesetz, sie zu demolieren.«
    Lizzie verdaute das. »Aber wenn keiner nich’ kommen kann aus Albany, weil doch die Bahn kaputt is’, wer soll dann wen bestrafen, der wo das Gesetz bricht…«
    »Die können kommen, mit’m Flugzeug können sie kommen, oder?« keifte Annie. »Du, denk nich’ mal dran, das Gesetz zu brechen, hörst du?«
    »Ich, ich hab ja nich’ dran gedacht«, argumentierte Lizzie mit einer gewissen Logik, »das war Celia Kane. Außerdem kommt keiner mehr mit’m Flugzeug aus Albany nach East Oleanta. Die Macher dort, die haben jetzt was anderes im Kopf als unsere Probleme hier.«
    »Kindermund sagt die Wahrheit«, warf ich ein, aber natürlich antwortete mir keiner.
    Draußen auf dem Flur schrie jemand herum. Schritte bewegten sich an der Tür vorbei, verhallten und kehrten wieder zurück. Ein einzelner Schlag gegen die Tür. Billy und Annie sahen einander an. Dann öffnete Billy die Tür einen Spalt und steckte den Kopf hinaus. »Was is’n los?«
    »Lagerhaus is’ nich’ geöffnet! Is’ jetz’ schon die zweite Woche, daß es nich’ aufmacht! Sollten alles kurz un’ klein schlagen, wir alle! Verdammte Bude, ich brauch’ Stiefel un’‘ne neue Decke!«
    »Oh!« sagte Billy und schloß die Tür.
    »Billy«, erkundigte ich mich vorsichtig, »wer weiß noch von den Vorräten an Nahrungsmitteln und Dingen aus dem Lagerhaus, die ihr hier hortet?«
    »Keiner nich’, bloß wir vier!« sagte er und mied meinen Blick. Er schämte sich.
    »Erzählt niemandem etwas davon. Auch wenn sie euch einreden wollen, sie würden die Sachen dringend brauchen.«
    Ratlos sah Billy Annie an; ich wußte, er war auf meiner Seite. Ich hatte entdeckt, daß East Oleanta über eine florierende Tauschwirtschaft verfügte, die parallel zur offiziellen Macher-Versorgung existierte: langsam über einem offenen Feuer gebratene Kaninchen gegen unvorstellbar scheußliche Wandbehänge oder bestickte Overalls; Nüsse gegen Spielzeug; Sonnenschein gegen Nahrungsmittel. Dienstleistungen – die ganze Palette von Babysitten bis Beischlaf – gegen Musikanlagen oder im Eigenbau getischlerte Holzmöbel aus selbstgefällten Bäumen. Ich konnte mir gut vorstellen, wie Billy einiges von unseren aufgetürmten Vorräten in den Tauschhandel einfließen ließ, ohne auch nur ein

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