Bettler 02 - Bettler und Sucher
auch kein Vaterinstinkt. Das sei alles bloß intellektuelle Stimmungsmache mit dem Ziel, Menschen eine Verantwortlichkeit aufzubürden, die sie im Innersten gar nicht wollen – was sie aber auf diese Weise nicht mehr einzugestehen wagen. Sozusagen ein Propaganda-Kraftakt ohne echte biologische Kraft dahinter.
Wie man sieht, pflege ich mich in ziemlich dumme Mannsbilder zu verlieben.
Drei Tage, nachdem ich Lizzie die Kristallbibliothek gebracht hatte, stand ich wieder einmal um vier Uhr früh auf, um Billy in den Wald zu folgen.
Es war der dritte Marsch in sechs Wochen. Unserem Handel entsprechend hielt Lizzie mich auf dem laufenden, was Billys Absichten betraf. Sie hatte mir erzählt, früher mal hätte er sich immer nur alle paar Monate aufgemacht in die Wildnis, aber nun ging er viel öfter. Vielleicht war er sogar das eine oder andere Mal kurz unterwegs, ohne daß Lizzie und ich es bemerkt hatten. Irgend etwas steigerte seine Erkundungsaktivitäten, und ich hoffte, dieses Etwas würde mich zu ›Eden‹ führen, über das immer häufiger verhüllte Andeutungen in den lokalen Nutzer-Kanälen auftauchten. Gesendet von wo? Von wem? Ich hätte meinen Kopf verwettet, daß sie nicht Teil der regulären Ausstrahlungen aus Albany waren.
An diesem Morgen schneite es auf eine flüchtige, nicht besonders ernst zu nehmende Art und Weise; immerhin hatten wir erst Mitte Oktober. In San Francisco hatte ich dem Gerede von der ›unmittelbar bevorstehenden Mini-Eiszeit‹ nicht besonders viel Aufmerksamkeit gewidmet; in den Adirondacks hingegen ging es gar nicht anders: alle liefen dick vermummt und in Winteroveralls herum – die, nebenbei bemerkt, überraschend warm hielten, wenngleich sie nicht geschmackvoller gefärbt waren als die sommerlichen. Ringelblumengelb, Puterrot, Stahlblau, Giftgrün. Und für den konservativen Geschmack eine Tönung in der Farbe von Kuhfladen.
Und genau den trug Billy, als er um 4 Uhr 45 aus seinem Wohnhaus trat. Er hielt einen Sack aus PlastiTuch in einer Hand.
Es war noch dunkel draußen, als er sich Richtung Fluß in Marsch setzte; der Fluß schlängelte sich am Ortsrand entlang, nur etwa fünf oder sechs Straßen von dem entfernt, was gemeinhin als ›Stadtzentrum‹ galt. Solange es genügend Häuser gab, folgte ich ihm mühelos. Als mir keine Gebäude mehr Schutz boten, ließ ich ihm so viel Vorsprung, bis er außer Sicht war, und folgte dann seinen Fußspuren in dem dünnen Schneeteppich. Doch nach einer Viertelstunde hörten die Fußspuren auf.
Ich stand unter einer Kiefer, deren ausladende Äste erst in drei Meter Höhe begannen und überlegte mein weiteres Vorgehen, da sagte hinter mir Billy mit ruhiger Stimme: »Gar nichts dazugelernt haben Sie, rein gar nichts, seit dem ersten Mal hier im Wald.«
Ich drehte mich um. »Wie haben Sie denn das gemacht?«
»Is’ nich’ wichtig, wie ich’s gemacht hab. Frage is’, was machen Sie hier?«
»Ich folge Ihnen. Wieder einmal.«
»Warum?«
Noch nie hatte er mich gefragt. Die anderen Male, als ich ihm gefolgt war, hatte er sich geweigert, mit mir zu reden. Und jetzt sah er ungewöhnlich eindrucksvoll aus, wie er so mit gefurchten Gesichtszügen streng und rechtschaffen in der rauhen Landschaft stand: ein Nutzer-Moses. Ich sagte: »Billy, wo liegt Eden?«
»Das is’ es, worauf Sie’s abgesehen haben, wie? Hab keine Ahnung nich, wo es is’, und wenn ich’s wüßte, würd’ ich Sie nich’ hinführen.«
Das klang vielversprechend; wenn jemand sich vorgenommen hat, etwas nicht zu tun, dann hat er vorher zumindest die Möglichkeit gesehen, es doch zu tun. Und von der Möglichkeit zum Einverständnis ist es ein weitaus kleinerer Schritt als von der Ablehnung zur Möglichkeit. »Und warum nicht?«
»Warum was nich’?«
»Warum würden Sie mich nicht zu Eden führen, wenn Sie wüßten, wo es liegt?«
»Weil’s eben kein Platz für Macher is’, deswegen.«
»Ist es ein Platz für Nutzer?«
Doch jetzt schien er zu merken, daß er bereits zuviel gesagt hatte. Bedachtsam und nachdrücklich legte er seinen Sack hin, wischte den Schnee von einem umgefallenen Baumstamm und setzte sich mit der Miene eines Mannes darauf, der sich nicht wegrühren würde, solange ich mich nicht aus dem Staube machte. Ich würde mich anstrengen müssen, um noch mehr aus ihm herauszukriegen.
»Es ist auch kein Platz für Nutzer, nicht wahr, Billy? Es ist ein Platz für Schlaflose. Und Sie haben hier in diesem Wald einen SuperSchlaflosen aus Huevos
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