Bettler 03 - Bettlers Ritt
nicht«, erwiderte Cazie kalt. »Was Sie hingegen kratzen sollte, ist die Anzeige wegen widerrechtlichen Eindringens in fremdes Eigentum.«
»Oh, ich fürchte mich fast zu Tode! Hören Sie, Cazie Sanders, wie lange werden Leute wie Sie…«
»Leute wie ›ich‹? Zu denen Sie ja nicht gehören, oder?«
»… die Augen verschließen vor dem, was rundum vorgeht? Die einfachen Antworten gibt es schon lange nicht mehr! Keine Tauschgeschäfte mehr, keine bunten Glasperlen und Energiekegel mehr gegen Wählerstimmen, um Leute wie Sie an den Schalthebeln der Macht zu halten!«
»Ach du meine Güte, aufgewärmter Marxismus!« rief Cazie höhnisch. »Die Aneignung der Produktionsmittel seitens der Proletarier, richtig? Und Sie beide sind der Voraustrupp.«
»Ich denke nicht…«
»Ganz offensichtlich. Wer sind Sie eigentlich? Eine abtrünnige Macherin, die sich unter das niedere Volk mischt, um ihr Ego aufzublasen? Die weiße Göttin unter den Wilden, hmmm? – Rührend.«
Vicki sah Cazie lange an, während sich ihr Gesichtsausdruck nach und nach veränderte. Dann sagte sie mit ruhiger Stimme: »Wer ich bin? Ich bin diejenige, der die Aufsichtsbehörde für die Einhaltung genetischer Standards die Ergreifung Miranda Sharifis verdankt. Und diejenige, die daraufhin den juristischen Kampf der Bürger um Mirandas Freilassung anführte.«
Zum erstenmal erlebte Jackson Cazie sprachlos vor Verblüffung. Ihr kleines, lebhaftes Gesicht drückte Überraschung aus, Ungläubigkeit und zögernde Akzeptanz. Vicki Turner hatte etwas an sich, das einen geradezu zwang, ihren Worten Glauben zu schenken – die Art, wie sie mit lässig gespreizten Beinen dastand, als wäre sie daran gewöhnt, den Stürmen des Lebens zu trotzen, oder die Art, wie sie über Lizzie wachte, die selig und benommen von Jacksons Schmerzmitteln auf dem Boden lag. Oder es war einfach nur ihr Gesicht, in dem ein schwer zu deutendes Bedauern geschrieben stand – kein Ausdruck, den Jackson erwartet haben würde.
Leidenschaftslos fuhr Vicki fort: »Wir brauchen die Y-Energie immer noch. Es ist das einzige, was wir tatsächlich noch von euch brauchen, und wir werden alles daransetzen, es uns zu nehmen. Versucht, uns daran zu hindern, und es wird einen großen Verlust an Menschenleben geben. Genau wie bei den Umstellungs- Kriegen. Menschenleben, die mit dem Zellreiniger noch hundert Jahre weitergegangen wären. Ihr habt die Waffen, die Enklaven, die raffinierten elektronischen Sicherheitssysteme, deren Funktionsweise ihr vor den Nutzern immer geheimgehalten habt. Aber sie fangen an zu lernen, Cazie Sanders. Nicht ich habe euer System geknackt – Lizzie war das! Da draußen gibt es eine Menge Lizzies, die mit jedem Tag mehr lernen. Und wir sind zahlenmäßig im Vorteil. Es gibt zehn von uns für jeden von euch.«
Sie hatte es ausgesprochen – den Alptraum jedes Machers. Die ewige Angst, die unter dem hektischen Partygetümmel, der arroganten Lebensart und den dummen, zeitaufwendigen gesellschaftlichen Rivalitäten lag: Schau nicht zurück! Sie könnten schon dicht hinter uns sein! Und sie sind viel zahlreicher als wir!
»Und wissen Sie, was am schlimmsten ist?« sagte Vicki, immer noch mit dieser unbarmherzig ruhigen Stimme. »Ihr seht das nicht einmal. Weiß Gott, nicht aus Dummheit! Nein, aus eigensinniger Verblendung, für die ihr genau den Preis verdient, den ihr schließlich zahlen werdet.«
»Himmel, ersparen Sie mir doch diesen melodramatischen Schwulst!« rief Cazie. Sie hatte sich von Vickis unvermuteter Attacke offenbar erholt. »Das Gesetz ist ganz klar. Und Sie haben es übertreten.«
Zu Jacksons Überraschung lächelte Vicki. »Das Gesetz funktioniert nur dann, wenn die Mehrheit dafür ist, es funktionieren zu lassen. Wußten Sie das? Nein, natürlich nicht. Sie sind ein simpler Binärcode: ›ein‹ für Ihre eigenen Interessen, ›aus‹ für die der anderen. Ein Kind könnte Sie knacken. Und genauso ist es auch geschehen.«
»An den menschlichen Affekt appellierende Spitzfindigkeiten sind kein Argument!« brauste Cazie böse auf.
»Sie sind doch kein Mensch! Sie sind nicht einmal ein Synonym dafür. Sie sind ein redundanter Code in der menschlichen Erbinformation, und Sie sind bereits obsolet!«
Diese Frau spielte! Stand da und lachte seine Ex-Frau aus! Diese zerlumpte Überläuferin spielte mit Cazie, mit der ganzen Situation! Wieviel Selbstsicherheit brauchte man eigentlich für dieses Spiel? Oder war es nicht Selbstsicherheit, sondern
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