Bettler 03 - Bettlers Ritt
Sonnenlicht. Rundum standen die Leute in Grüppchen beieinander, und ihre häßlichen Gesichter starrten herab auf sie. In Gruppen… Cathy und Earl und Theresa… Die Bindung war vollzogen!
»Kommt wieder zu sich, die!«
»Laßt ihr doch ‘n bißchen Platz, zum Geier!«
»Wir lassen ihr gar nix, der Schlampe.«
»Theresa… du has’ noch keine Bindungs-Spritze gekriegt, du. Wir haben’s gelassen.« Josh hockte neben ihr, ohne sie zu berühren. Theresa konzentrierte sich aufs Atmen, denn manchmal wiederholten sich die Anfälle innerhalb kurzer Zeit, gelegentlich auch zweimal… Schon der Gedanke daran brachte ihr Herz zum Rasen und ihren Atem zum Stocken.
»Sagte, ich, daß du keine Spritze nich’ gekriegt hast.«
Joshs Gesicht wirkte freundlich. Wie war das möglich – Freundlichkeit von einem Nutzer? Er konnte doch nicht verstehen, was mit ihr geschah – das verstand nicht einmal Jackson! Theresa bemühte sich, tief zu atmen.
»Muß wirklich stimmen, das«, sagte Patty. »Was wir gehört haben. Daß es nich’ mal mehr in den Enklaven genug Umstellungs- Spritzen gibt.« Unterdrückte Schadenfreude schwang in ihren Worten mit.
Theresa setzte sich auf. Nach Hause. Sie mußte nach Hause. Würden diese Leute sie heimgehen lassen? Was würden sie ihr antun? Tränen stiegen ihr in die Augen.
»Meine Güte, die heult ja!« stellte Patty fest. »Laßt das Mädel doch abhauen.«
»Nee, wartet mal«, sagte Mike. »Die hat ‘n MobiLink. Die kennt sicher Zugangscodes, wo ganz nützlich wären für uns.«
»Die, die weiß gar nix! Schau sie bloß an! Die is’ doch nich’ mal umgestellt!«
»Na und? Die hat aber Grips in der Birne, die is’‘ne echte Macherin…«
Josh beugte sich zu ihr, und Theresa zuckte zurück. Sein Atem war warm und roch angenehm, aber irgendwie fremdartig. Er sagte sehr leise: »Steh auf, du, solange die streiten. Setz dich in den Wagen un’ hau ab!«
Sie sah ihn mit aufgerissenen Augen an, und er nickte einmal, zog sie hoch und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
Mit verzerrten Gesichtern hatten Mike und Patty begonnen, einander zu schubsen und zu stoßen; ihre Worte stießen sie unter einem Sprühregen von Speichel aus, der sich in ihren Mundwinkeln sammelte. Theresa rannte zu ihrem Wagen.
»Haltet sie auf!« rief Mike. »He! Bleib stehen, du!«
Theresa strauchelte und fiel hin. Ihr Atem ging in harten Stößen, die Erde unter ihr schien zu beben und nach ihr zu fassen… nicht noch einmal! Nicht noch ein Anfall! Sie zwang sich hoch und warf einen Blick zurück.
Patty und Mike wollten Theresa nachsetzen, doch jedesmal, wenn sie ein paar Schritte von Josh wegmachten, blieben sie stehen, rannten zurück und versuchten, ihn mit sich zu ziehen. Josh jedoch machte sich schwer und schlaff. Und ohne ihn konnten Mike und Patty Theresa nicht verfolgen.
Sie stolperte weiter bis zum Wagen und ließ sich hineinfallen. »Türverriegelung. Automatischer Abflug… Heimkoordinaten…« Der Wagen hob sich.
Unten sah sie Patty auf Josh einschlagen.
Theresa ließ sich zurücksinken, versuchte, ihren Atem unter Kontrolle zu bekommen, versuchte, die Welt da unten daran zu hindern, sich zu einer weiteren übelkeitserregenden schwarzen Woge zu drehen. Nach Hause. Sie mußte nach Hause. Sie hätte nie von daheim weggehen, nie die Enklave verlassen sollen – sich nie für stark genug halten sollen, tatsächlich den Weg zum Licht finden zu können… Sie war nichts als eine schadhafte überprivilegierte Macherin… Nein, diese Leute hatten unrecht; mit der Alternative des Todes die Menschen in eine Gemeinschaft zu pressen, das war nicht der rechte Weg, nein, nein, nein! Das war keine Lösung!
Sie schloß die Augen, und die wirbelnde Welt verschwand; doch was nicht verschwand, war etwas, das noch schrecklicher war – das Beängstigendste, was sie an einem Nachmittag voll Beängstigendem erlebt hatte: Joshs Gesicht dicht an ihrem, und seinen letzten geflüsterten Satz. Freundlich, bedauernd, beängstigend. Seine Worte:
»Du bis’ noch nich’ soweit. Noch nich’.«
Theresa erschauerte. Dafür würde sie nie bereit sein. Mit einer drei Meter langen unsichtbaren Kette für immer an zwei Nutzer gefesselt und den sicheren Tod vor Augen, wenn sie sich von ihnen entfernte. Nein, das war der falsche Weg. Eine Sackgasse.
Aber was hatte Miranda Sharifi damit vor?
Und was hatte Theresa vor?
Sie war wiederum allein mit ihrem leeren Leben.
INTERMEZZO
SENDEDATUM: l. Dezember 2120
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