Bettler 03 - Bettlers Ritt
mißverstand die Bewegung. »Glaubst mir wohl nich’, du – wie? Na, dann komm doch mit un’ schau dir das Holo an!«
»Nein… ich… bitte, lassen Sie…«
Aber Patty hatte sie schon am Arm gepackt und zerrte sie um das Gebäude herum und durch die Tür ins Innere.
Eine Unzahl von Nutzern befand sich darin, alle in Dreiergruppen, die Theresa den Atem ins Gesicht bliesen, und dunkel war es auch, und sie würde sich gleich übergeben…
»Zeit für Mutter Miranda!«
Die Holobühne wurde lebendig. Ein hübscher, bedeutungsloser Farbwirbel, und dann erschien Miranda Sharifi; nur Kopf und Schultern waren zu sehen vor dem Hintergrund einer Aufnahmekabine, die aus Gründen der Anonymität glatt und dunkel gehalten war. Miranda trug ein weißes, ärmelloses Kleid. Ein rotes Band hielt ihre widerspenstigen Haare zusammen.
»Ich bin Miranda Sharifi und ich spreche zu euch von der Mondbasis Selene. Ihr werdet wissen wollen, wozu diese neue Spritze dienen soll. Sie ist ein wunderbares Geschenk, speziell für euch gemacht. Ein Geschenk, das noch großartiger ist als die Umstellungs- Spritzen , die euch zwar biologisch unabhängig machen, doch auch in die menschliche Isolation führen, weil ihr nicht mehr aufeinander angewiesen seid für die Nahrungsbeschaffung und das Überleben im allgemeinen. Es ist jedoch nicht gut, daß der Mensch allein sei. Also wird euch diese Spritze, diese verheißungsvolle Gabe…«
In einem Winkel des Lagerhauses hinter der Holobühne erblickte Theresa ein nicht umgestelltes Kind.
Es war etwa zwei Jahre alt und saß in seine Ecke gelehnt still da, die schlaffen, dünnen Beinchen von sich gestreckt; eine Seite seines Kopfes war völlig haarlos, und die Haut bedeckt mit runden Flecken, aus denen Eiter sickerte. Eine schleimige Flüssigkeit quoll ihm aus den Winkeln der trüben Augen.
Der Anblick schnürte Theresa die Kehle endgültig zu.
»Ihr, mein auserwähltes Volk, ihr werdet die ersten sein, das Leben kennenzulernen, wie…«
Das Kind wimmerte. Ein Mädchen, das nicht älter war als Theresa, schoß hin und nahm es hoch. Ein starkes, gesundes Nutzer-Mädchen, frei von Hunger und Krankheit, die auf eigenen Beinen stehen und aus klaren Augen die Welt sehen konnte… Hatte das Kind… war es möglich, daß das nicht umgestellte Kind tatsächlich Schmerzen hatte?
»… spirituelle Gabe, die das Leben und die Natur…«
Theresa konnte nicht mehr atmen. Wie sehr sie sich auch bemühte, es ging nicht…
»… aufgebaut auf der Funktionsweise der Umstellungs -Spritzen, die ich euch vor Jahren gab, als…«
Sie konnte nicht atmen und sie würde sterben, diesmal würde sie wirklich sterben…
»He, was is’n los mit der Macherin, was hat’n die?«
»He, was is’n los, du?«
»Macht ‘n bißchen Platz da, ihr!«
»Die stirbt!«
»Wer stirbt’n heutzutage, du Arsch! He, das Holo is’ vorbei! Gebt ihr ‘ne Spritze!«
»Is’ ja niemand da, der wo ‘ne Gruppe mit ihr machen…«
»Doch! Die zwei Neuen! Cathy un’ Earl!«
»Gebt ihnen ‘ne Spritze, allen dreien! Schnell, gebt ihnen ‘ne Spritze!«
Der Raum begann sich zu drehen. Er wurde schwarz in einer hohen Woge, einer Sturzflut, als hätte jemand die Mauer gegenüber eingerissen und die Flut eingelassen, so daß sie nun auf Theresa zuraste und sie jeden Moment erreichen würde… Leg den Kopf auf die Knie, sagte Jacksons Stimme in ihrem Kopf. Atme tief. Nimm ein Neuropharm… Theresa krümmte sich nach vorn, aber zwei Personen rissen sie links und rechts wieder hoch – ihre Partner für die neue Bindung… In dem kreisenden Raum erschien eine Spritze in einer Hand, hellrot…
»Nein!« schrie Theresa. »Nein… n-n-nicht!«
»Is’ ja gut, Kleines«, sagte die Stimme einer Frau beschwichtigend, während Theresa der Mantel vom Leib gerissen wurde. »Tut gar nich’ weh. Is’ nich’ anders als wie ‘ne Umstellungs -Spritze. Wirst es gar nich’ spüren, du. Mutter Miranda, die sagt, daß es aufbaut auf der Umstellung …«
Die rote Injektionsspritze schwankte näher an ihren Arm heran. Der Raum wirbelte um Theresa herum, und die dunkle Woge schwappte über sie hinweg… benommen… ohnmächtig… sie würde sich gleich übergeben… Mit letzter Kraft riß sie die Worte aus sich heraus: »Ich… bin… nicht… umgestellt!«
Und dann wurde es schwarz um sie.
Im Freien. Sie lag draußen im Freien auf dem Boden, und es war kalt. Sie hatte den Mantel nicht an. Als sie die Augen öffnete, schmerzte sie das
Weitere Kostenlose Bücher