Bettler 03 - Bettlers Ritt
ausstatten. Ansonsten befand sich nichts in dem Raum – mit Ausnahme der Drucke.
Sie hingen an jeder Wand – vielfarbige flache Ausdrucke von Holoszenen, die sie aus den Nachrichtensendungen auswählte. Auf einem dieser Bilder sah man drei verlassene tote Nutzer-Kinder in einer Schneeverwehung; ihre erfrorenen, wohlgenährten Gesichter strotzten vor Zellreiniger-Gesundheit.
Auf einem anderen Bild lag ein Baby in den Armen seiner gramerfüllten Mutter. Die Mutter, die aussah wie fünfzehn, war sichtlich umgestellt. Das Gesichtchen des Babies war von irgendeiner Krankheit deformiert, die Haut wirkte schwammig und war voller Flecken, und Blut sickerte aus den geschlossenen Augen. Die Kamera hatte die Mutter mit ausgestreckter, offener Hand aufgenommen: keine Umstellungs -Spritze lag darin.
Bei einer Weitwinkelaufnahme aus der Luft umschloß ein schimmernder Y-Schild eine wunderschöne Tallandschaft in den Ozarks. Das ganze Tal. Ein reicher Macher lebte dort, ein früherer Finanzhai, den niemand mehr zu Gesicht bekommen hatte, seit der Pressekonferenz, die er nach seiner Umstellung gab und in der er begeistert feststellte, daß er von nun an nie mehr Kontakt mit einem anderen menschlichen Wesen zu haben brauchte.
Ein anderer kleiner Ausdruck zeigte vier abgemagerte Erwachsene mit Ellbogen, so hart und kantig wie Meißel, die Schüsseln hielten, in denen sich ein wenig Brei befand; sie standen unter einem Holzkreuz, in dem die Worte DAS TÄGLICH’ BROT, DAS ER UNS GIBT eingebrannt waren. Unterernährung sprach aus ihren krummen Beinen und dem dünnen Haar. Alle vier lächelten selig in die Kamera und zeigten ihre Zahnlücken und das geschwollene Zahnfleisch.
Ein großformatiger Druck hinter dem Terminalpult zeigte Miranda Sharifis Gesicht, überlegt mit einem blauen Schleier, drei Lilien und einem offenen Gebetbuch. Daneben hing ein ebenso großer Druck mit dem Bild desselben Holos, doch diesmal überlegt mit Grabsteinen, Särgen, schwarzen Kerzen und Folterwerkzeugen, zusammen mit den Worten: UND WANN DIE UNSTERBLICHKEIT, DU BIEST?
Weiter gingen die Bilder. Zwei Macher-Kinder, die sich nackt und lachend auf einem von der Brust bis zum Schwanz aufgeschlitzten Hirschkadaver wälzten, um sich direkt vom Blut und vom Fleisch des Tieres zu nähren. Ein totes Nutzer-Kind in einer französischen Stadt, in der es seit vier Jahren keine Umstellungs -Spritzen mehr gab. Eine Werbeaufnahme für Endorkiss in leuchtenden, verführerischen Farben, bei der drei unglaublich perfekte Macher-Körper schweigend auf dem Nährplatz lagen; ihre Gesichter verrieten vollkommene Glückseligkeit, ohne einander anzusehen – das war offensichtlich auch nicht notwendig.
Jackson hatte das Zimmer noch nicht gesehen. Theresa betrat es nur, wenn er nicht daheim war, und sie hatte Jones, dem Haussystem, aufgetragen, niemanden außer ihr einzulassen. Wahrscheinlich wußte Jackson genau, wie man einen solchen Befehl überbrücken konnte, aber selbst wenn er dazu in der Lage war, würde er es vermutlich nicht tun. Jackson hätte das Zimmer ohnehin nicht verstanden. Er hätte es für ein medizinisches Problem gehalten – wie das, was er Theresas ›neurochemische Angstzustände‹ nannte. Er würde nie einsehen, wie notwendig dieser Raum war. Das Computersystem vor Theresa war auf Bildschirmmodus geschaltet, seine flache Energie-›Oberfläche‹ senkrecht durch eine dicke schwarze Linie in zwei Hälften geteilt. Über der Linie stand in harten, dunkelblauen Buchstaben:
Selbst ein Tier kann in ungewohntem Terrain die Orientierung verlieren, aber nur Männer und Frauen können sich selbst verlieren.
– Christopher Caan-Agee, 2067
Darunter befand sich das jüngste Kapitel des Buches, das Theresa gerade über Leisha Camden verfaßte:
Leisha hatte einen Freund. Sein Name war Tony Indivino. Sehr viele Dinge machten Tony weitaus zorniger als Leisha. So erschien es etwa Tony nicht richtig, daß einige Leute so viel Geld hatten und andere so wenig. Darüber hatte Leisha zuvor noch nie nachgedacht. Später schrieb Leisha, daß Tony zu ihr gesagt hatte: »Angenommen, du gehst in einem armen Land wie Spanien durch eine Straße und du siehst einen Bettler. Gibst du ihm einen Dollar? Doch dann siehst du hundert Bettler, tausend Bettler und du hast nicht Leisha Camdens Geld. Was tust du? Was sollst du tun?« Leisha wußte keine Antwort auf Tonys Fragen.
Theresa studierte den Absatz. Dann sagte sie zu Thomas, ihrem persönlichen System:
Weitere Kostenlose Bücher