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Bettler und Hase. Roman

Bettler und Hase. Roman

Titel: Bettler und Hase. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuomas Kyrö
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Studienbeihilfe, zum Wohnungsgeld, zum einkommensabhängigen Tagegeld. Zu Stipendien vom Kulturfonds und von der Kordelin-Stiftung. Hat der Mensch erst mal seine Nummer im Computer, kann er mit dieser Nummer endlos Kohle machen. Fünfundsiebzig Prozent für mich, fünfundzwanzig für dich.«

Usko Rautee führte den Löffel zum Mund, machte mit seinem Drehstuhl einen Schwenk und sah durchs Fenster auf seine morgendliche Heimatstadt. Sie war schön und hässlich zugleich, so wie das Leben oder wie Yoko Ono. Oder wie Uskos Klienten. Der Joghurt, den er aß, schmeckte nach nichts mit unangenehmem Beigeschmack.
    Einträchtig standen die Silhouetten der Kirchtürme und Fabrikschornsteine nebeneinander, dazwischen Häuserblocks aller Art, von Schönheiten aus dem 19 .Jahrhundert über Monstren aus den siebziger Jahren bis hin zu den nichtssagenden Belanglosigkeiten des 21 .Jahrhunderts. Kirchtürme und Fabrikschornsteine standen noch, obwohl sie ihre ursprüngliche Bedeutung längst verloren hatten. Die industrielle Produktion war in billigere Länder verlegt, die Fabrikhallen in Unihockey-Felder oder TV -Produktionsfirmen umgewandelt worden. Und in den Kirchen wurde zwar weiterhin geheiratet, doch Gott hatte nicht nur sein Haus, sondern die ganze Welt verlassen und war in die nächste Galaxie umgezogen.
    Usko Rautee kratzte mit dem Löffel den letzten Rest aus dem Becher und spürte dabei trotzdem so etwas wie die Nähe Gottes. Dem angestrengten Gegenwartsmenschen verhieß ein Joghurt das Gleiche wie früher die Kirche: ewiges Leben, innere Balance, besseres Durchhaltevermögen im Arbeitsleben und nach der Buße den Himmel. Man musste nicht einmal sterben, um all das zu erreichen, sondern einfach nur leben.
    Zwar schmeckte der Joghurt schlecht, aber man bekam eben nichts geschenkt. Schon immer waren die Heiligen durch Entsagung und Leiden hindurchgegangen.

    Usko teilte seine Kundschaft in drei Hauptkategorien ein. Die erste Kategorie wurde von den Schlurfern gebildet. Die Schlurfer verhielten sich zur Welt wie Quecksilber zu Teflon. Wenn an denen etwas hängen blieb, dann ein Stück Pizza auf dem Hemd und Mamas oder Papas Portemonnaie.
    Usko machte sich einen zweiten Joghurt auf und fragte sich, wann die Welt sich so verändert hatte. Heutzutage verfügte jeder Schulabbrecher über die Rechte eines Prinzen und den Lebensstandard eines Earls. Das war die Folge von Entwicklung, Erleichterungen und Erschwinglichkeit, es war großartig und absolut entsetzlich. Mit der Erfindung der Axt hatte es angefangen, mit der Entdeckung des Rads war es weitergegangen und hatte dann über die Massenproduktion von Autos in diese Welt geführt, in der es in jedem Zimmer eine Spielkonsole gab. Und in der Küche vorgeschnittenes Brot. Auf jedem Kopf einen Helm und in jedem Auto eine Einparkhilfe.
    Was kann man von einem Menschen verlangen, der in diese Welt hineingeboren wird? Nichts, weil er als Kunde geboren wird und man von Kunden nichts verlangt, sondern ihnen Dienste leistet. Die Schlurfer wissen ganz genau, wohin sie schlurfen, wie sie einmal enden wollen: als Promis, Pokerspieler oder Mogule. Nur haben sie nicht die geringste Ahnung, wie das geht. Schlurfer laufen bis zu ihrem Tod in Schuhen mit Klettverschlüssen herum, weil sie nie lernen, sich die Schnürsenkel zu binden.
    Usko empfand Mitleid und Andersartigkeit. Er bemitleidete auch sich selbst – einen Mann, der Gesundheitsjoghurt aß, damit er bis zum Ende seines Lebens durchhielt. In den siebziger Jahren war es in vergleichbaren Problemsituationen noch gestattet, Alkohol trinken. Aber der Preis für jene Jahre waren diese Joghurts hier.
    Heute war das Putzen, also die Arbeit in der Reinigungs- und Ordnungsbranche, der Maßstab des gesellschaftlichen Entwicklungsniveaus, so wie es früher mal der Strafvollzug gewesen war. Für einen Schlurfer war die Tätigkeit einer Reinigungskraft nicht gut genug, das Grundgehalt zu niedrig, das Ansehen der anstrengenden Arbeit unzureichend. Und wenn doch mal ein Schlurfer eine solche Arbeit annahm, schlief er garantiert in einer Ecke des zu reinigenden Gebäudes ein.
    Das Schlurfen steht aber immer in Relation zum Ausmaß der Verantwortung. Hat ein Schlurfer nämlich genug Schulden, Kinder und Alimente am Hals, greift auch er zum Schrubber.
    Die tragischere Kategorie bildeten die Klienten, die Usko Rautee unter Abwandlung des guten alten finnischen Vornamens Jorma als »Jorse« bezeichnete, weil er einen Jorse kannte, den man als typischen

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