Bettler und Hase. Roman
ich abgebrummt hab, dauert es allerdings noch.«
Jegor Kugar schimmelte und grübelte in seiner Einzelzelle vor sich hin, hatte einmal am Tag für eine halbe Stunde Hofgang, blickte auf Mauern und Himmel. Ziele hatte er keine mehr. Nur einen Wunsch.
»Die schlimmste Variante wäre gewesen, wenn sie mich zurück in den Schoß meines Mutterlands geschickt hätten, wo man sich dann an alle möglichen anderen Missetaten erinnert hätte, zusätzlich zu dem abgestochenen Bettler. Darum wollte ich unbedingt Kunde des finnischen Gefängniswesens bleiben.
Ich versuchte sogar, Jesus zu finden, beschaffte mir eine Ikone, hängte sie an die Wand, konnte aber nix sehen. Dann besorgte ich mir einen Fernseher. Mit dem sah ich viel mehr, bloß kam da natürlich auch jeden Tag ein Lagebericht über Vatanescus Zustand. Nie wurde dabei vergessen, meinen Namen und meine Visage zu bringen, und jedes Mal wurde dazugesagt, durch den Vorfall hätte es ernste diplomatische Verwicklungen gegeben.
Über meine Herkunft wussten sie in den Nachrichten aber nichts, weil ich ja keinem irgendwas erzählt hatte, und die Sicherheitspolizei hat mich garantiert aus den Akten gestrichen.
Bei den Verhören spielte ich den Volldeppen, von wegen: Äh, wie jetzt, also, was, hä, muss ich das wissen und so.«
In seiner Einsamkeit fing Jegor Kugar an, seine Memoiren zu schreiben. Zuerst heimlich auf Karopapier, weil er sich dachte, es sei verboten. Aber dann sah ein freundlicher Wärter aus Askola, was Kugar trieb, und besorgte ihm eine Schreibmaschine und Papier.
»Ich will diese Geschichte aus einem einfachen Grund erzählen. Nämlich, damit keiner jemals den Weg einschlägt, auf den ich geraten bin … Ach, Scheißdreck – wegen dem Geld mach ich das. Weil vielleicht ein Vertrag mit einem Buchverlag dabei rausspringt. Oder die Bild bringt eine Exklusivstory über mich; wär schon klasse, wenn irgendwann mal wieder ein Siebener- BMW vor meiner Haustür stehen würde, wie es sich für einen Jegor Kugar gehört. Ich kann mir vorstellen, dass die Finnen auf Menschenhändlermemoiren ziemlich abfahren, weil bei denen sonst bloß das Geschwafel von alten Schwulen, Lesben und Heteros über ihre kulturellen Kämpfe auf den Markt kommt. Irgendwie hab ich das Gefühl, dass da für einen echten Russen mit echten Kämpfen schon ein Scheibchen abfallen könnte im Weihnachtsgeschäft.«
Während Jegor Kugar schrieb, wurde sein Fall vorangetrieben. Das Gerichtsverfahren fand schließlich in einem Atombunker statt, weit weg von allem, weil man davon ausging, dass hinter Jegor Kugar das internationale organisierte Verbrechen steckte. Man hatte Angst, bei einer öffentlichen Verhandlung im Gerichtssaal könnten plötzlich lautlose Helikopter mit lautstarken Sondereinheiten aus verschiedenen Ländern im Hof landen.
»Ich bekam dann den besten Anwalt, den es gibt: Limpola. Der sagte, er ärgert sich, dass er beim Nürnberger Prozess noch nicht auf der Welt war, er hätte nämlich gern die Nazis verteidigt. Einfach als Herausforderung. Und im selben Atemzug erzählte er mir, er wäre Viertelzigeuner. Einfach als Herausforderung. Mir egal, solange er mir ein milderes Urteil verschafft, sprich einen besseren Deal. Ist ja auch bloß Business, das Ganze, es geht darum, was man aufgrund der vorliegenden Informationen für einen Vertrag unterschreiben kann.«
Aber auch der beste Anwalt nützte nichts, denn eines Nachts musste Jegor Kugar gehen. Die Verhandlungen auf diplomatischer Ebene hatten zu einem Ergebnis geführt, und nun war es Zeit, den verlorenen Sohn in die Heimat zurückzuholen. Waren es Männer von der Sicherheitspolizei oder von der Organisation, die das besorgten? Vermutlich beides – Männer mit zwei Pässen. Sie zogen Jegor Kugar eine schwarze Haube übers Gesicht, und der Wärter aus Askola konnte nur noch machtlos zusehen.
»Jemand hatte gesungen, und wie. Vatanescu. Über alles, was ein Jegor Kugar getrieben hatte. Und da holten sie mich heim, bevor ich vors internationale Gericht kam. Hoffentlich wird über unsereinen wenigstens groß geschrieben. In der Presse. Im Netz. Auf dem Grabstein.«
Sobald Vatanescus Wunden verheilt waren, verlegte man ihn auf die Normalstation. Auf dem Gang stand ein Polizist in Zivil, um ihn zu bewachen oder zu beschützen, je nachdem, ob Vatanescu aus seinem Zimmer heraus- oder ein anderer ins Zimmer hineinwollte. Die Tage zogen sich hin, die Zukunft lag im Dunklen, zum Glück gab es wenigstens einen Fernseher, in dem man
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