Bettys Horrortrip
ein Kind geschrieen. Dieses Wissen ließ mich beinahe vereisen. An den Beinen fing es an und rutschte hoch bis in meinen Nacken hinein. Meine Hand legte sich automatisch auf den Griff der schweren Pistole, und ich stand dicht davor, wie eine schießwütige Teufelin in das Krematorium zu stürmen und dem grausamen Spuk ein Ende zu bereiten. Nur mühsam riß ich mich zusammen. Wenn ich zu überhastet reagierte, beging ich Fehler, und die durfte ich mir auf keinen Fall leisten. Dann das Mißgeschick. Als ich den Finger um den Hahn legte, brach mir der Fingernagel ab. Mist auch! Sie waren einfach zu lang. Das Geräusch wiederholte sich nicht. Dafür hörte ich die Stimmen der Anwesenden. Sie unterhielten sich in einer normalen Tonlage. Nicht mal besonders leise oder gedämpft, denn hier fühlte sich die verdammte Gruppe völlig sicher.
»Die Göttin wird es uns demonstrieren, meine Freunde. Dieses Kind, das in wenigen Minuten den Weg ins Jenseits nehmen wird und dann tot vor uns liegt, wird durch sie wieder in unsere Welt geholt. Sie hat die Macht, sie hat das Wissen, die Toten durch ihre Kraft aus den Reichen zu holen. Sie will nicht, daß die steifen Leiber steif bleiben, sondern daß sie wieder zurückkehren, um unsere und ihre Ideologie zu verbreiten. Die Nekro Church ist nur eine kleine Gemeinschaft, aber sie wird wachsen, das weiß ich, das schwöre ich euch. Jeder Tote, der zurückkehrt, hat eine Botschaft zu verbreiten, und die Menschen werden diese Botschaft auch hören und begreifen.«
Ich hatte alles verstanden, denn ich war nahe genug heran. Aber ich wollte es nicht glauben. Es war einfach zu furchtbar, denn ich begriff nicht, daß Menschen zu so etwas fähig waren. Was mußte sich in deren Köpfen alles abspielen?
Damit kam ich nicht zurecht. Es war auch jetzt nicht wichtig, irgendwelche Folgerungen zu ziehen, mir mußte und sollte es allein darum gehen, das Kind zu retten.
Mein Gott, ein Kind! Sie wollten es tatsächlich ihrer Göttin opfern!
Ich zitterte, als ich daran dachte. Es war vorbei mit meiner Ruhe. Wie gern wäre ich jetzt schreiend in dieses verdammte Krematorium hineingerannt, um aufzuräumen, aber der Verstand sagte mir, daß ich das Kind auf diese Weise nicht retten konnte. Dieser Horrortrip würde vorerst noch weitergehen.
Meine Waffe war in Ordnung. Ich konnte mich auf sie verlassen, und ich behielt sie in der Hand. Wenn es darauf ankam, konnte ich mit links beinahe so gut schießen wie mit rechts. In der Schießausbildung war ich einer der Besten gewesen.
Ich schob mich bis dicht an den Eingang heran. Das Mauerwerk war hier spröde geworden und zeigte Risse sowie vorspringende Kanten. Noch einmal holte ich Luft, bereitete mich innerlich auf einen schlimmen Anblick vor und drehte mich dann an der Mauerkante vorbei in den Eingang hinein.
Ich blieb an der Seite stehen, geduckt und sprungbereit, mit der Waffe in das Innere zielend.
Sie waren zu sechst.
Sechs Personen, die ihre Gesichter durch Kapuzen verdeckt hielten.
Ansonsten trugen sie normale Kleidung. Hosen, Pullover, die Frauen als auch die Männer.
Das Licht zweier Fackeln reichte durchaus aus. Sie waren wie Lanzen in den Boden gerammt worden und flankierten die kleine Person, die getötet werden sollte.
Es war ein Kind.
Ein Junge.
Er lag auf dem Rücken. Man hatte ihm die Augen mit einem dunklen Tuch verbunden und das Hemd auf seiner Brust eingerissen. Er war nicht gefesselt, unternahm trotzdem keinen Versuch, auf die Beine zu kommen, um wegzulaufen.
Das war recht ungewöhnlich, aber ich mußte daran denken, daß sie ihn eventuell unter Drogen gesetzt und deshalb so lethargisch gemacht hatten.
Hin und wieder nur stöhnte er auf. Er jammerte auch und sprach von seinen Eltern.
Mir blutete das Herz. Ich war wieder wie irre. Es wunderte mich, daß es mir noch gelang, mich zurückzuhalten, statt loszuballern wie eine Action-Heldin im Kino.
Es gab noch eine Tatsache, die mir zu schaffen machte. Unter den sechs Personen befanden sich tatsächlich zwei Frauen. Es war nicht nur an ihren Stimmen zu hören, ich erkannte sie auch an ihren Körpern.
Vier männliche und zwei weibliche Mitglieder der Sekte hatten um den Jungen herum einen Kreis gebildet.
Sie sprachen noch immer von der Göttin, die allerdings nicht vorhanden war. Selbst ein Götzenbild konnte ich nicht sehen, aber ihr Geist sollte schon durch dieses Krematorium schweben, dessen Geruch mich anwiderte. Es roch nach Asche, Leichenfett und Ruß.
Der Junge war jetzt
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