Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition)
bist!“, rief Gerald. „Komm uns ja nicht zu nahe. Läuse bei Erwachsenen sind nicht gerade cool.“
Viktor setzte sich wieder aufs Bett, Marco brachte zwei Stühle aus der Küche und sie setzten sich in der Nähe der Tür hin.
„Ich habe eine Flasche Cola und Fußballkäse für dich. Sag mal, was ist dieser Geruch hier?“ Gerald öffnete das Fenster. „Du musst ab und zu lüften, sonst schimmelt dein Gehirn! Sag mal, was hast du denn den ganzen Tag gemacht?“
Viktor zuckte mit den Schultern. „Ausgeruht.“
„Ja wenn das mal nix ist!“, rief Gerald. „Vielleicht sollte ich meinen Kopf an deinem reiben, damit ich auch Läuse bekomme und mich morgen ausruhen kann!“
Viktor lachte.
Marco war in der Bibliothek gewesen und hatte ihm ein paar Bücher ausgeliehen. Zwei Bücher über Dinosaurier, zwei über Vulkane, fünf Comics und ein Buch, das den Titel „Spielzeug basteln – leicht gemacht“ trug. Viktor war so glücklich, dass er Marco umarmen wollte, aber Marco wich erschrocken zurück.
„Ich wollte mal mit dem Kollegen hier einen Abstecher zu Rocco machen. Stell dir vor, er hat noch nie russisches Bier getrunken“, sagte Gerald.
Viktor wusste gar nicht, dass Gerald und Marco Freunde waren. „Seit wann seid ihr Freunde?“, fragte er sie.
„Seitdem du heute nicht in der Firma erschienen bist. Dein Vater hatte vergessen, Marco Bescheid zu sagen, dass du krank bist. Und als ich ihn in der Eingangshalle sah, wusste ich Bescheid, dass er nicht Bescheid wusste. Da habe ich ihn von zwei Sicherheitsleuten abholen lassen. Du hättest ihn mal sehen müssen! So erschrocken war er! Er dachte, er wird verhaftet. Dann, als er bei mir im Raum war, haben wir entschieden, dass wir dich heute Abend besuchen kommen. Sind wir richtig toll oder was?“ Gerald schlug Marco auf den Rücken. „Und dann dachte ich mir, ich zeige ihm mal, wo anständige Leute abends einen trinken gehen.“
Sie standen auf, Marco wünschte Viktor „Gute Besserung“ und Ge rald sagte: „Hau rein, Kleiner!“ Vorher musste Gerald noch eine große Motte fangen, die ins Zimmer durch das offene Fenster hereingeflogen war.
Kurz darauf kam seine Mutter herein. Sie dirigierte ihn ins Bad, befahl ihm, sich ganz auszuziehen und sich in die leere Badewanne zu setzen, schmierte ihm dann eine furchtbar stinkende Flüssigkeit in die Haare. Das stank so grässlich, dass das Brötchen wieder herauskam. Von dem Tee hatte es sich ganz dunkelbraun verfärbt.
„Viktor!“, schrie seine Mutter, als er würgte. „Stell dich nicht so an! Das riecht nach Kamille!“
Als er sich beruhigt hatte, machte sie weiter und befahl ihm, eine halbe Stunde so in der Wanne zu bleiben, damit das Shampoo einwirkte. Sie wechselte währenddessen sein Bettzeug, schon das zweite Mal an diesem Tag , und staubsaugte die ganze Wohnung.
„Mama, darf ich das warme Wasser anmachen? Mir ist kalt!“, rief Viktor nach einer Weile.
Sie kam ins Badezimmer und warf ihm einen missbilligenden Blick zu. „Dir ist nicht kalt, wir haben 35 Grad hier in der Wohnung.“
„Aber mir ist kalt“, winselte Viktor.
„Ja gut, aber wehe, wenn Wasser auf deinen Kopf kommen sollte. Dann rasiere ich dir alle Haare ab. Lass nur ein bisschen Wasser laufen.“
Viktor war nicht wirklich kalt, aber ihm war langweilig. So hatte er jetzt wenigstens das Wasser, um sich zu beschäftigen. Eine Shampooflasche seiner Mutter war ein Piratenschiff, er holte eine imaginäre Laus von seinem Kopf und setzte sie auf das Schiff, sie war dann ein Pirat, wurde dann aber Captain Ahab, und ein Seifenstück war Moby Dick.
Als Viktor später in seinem Bett lag, stellte er sich vor, wie auf seinem Kopf eine ganze Stadt voll mit Läusen entstand, mit richtigen Autobahnen und Schulen und Supermärkten, und Spielplätzen für die kleinen Läuse … und dann kam ein giftiger Regen, der angeblich nach Kamille stank, und tötete sie alle. Die Läuse taten ihm leid, er stellte sich vor, wie sie von Säure zersetzt wurden, und brach fast in Tränen aus. Er trank einen Schluck Cola von Geralds Flasche, die er unter dem Bett versteckt hatte, und schlief dann ein.
Anthere
Viktor war gerade dabei, seine Schultasche für den nächsten Tag zu packen – er war nun offiziell läusefrei –, da kam Cristobal.
Viktor hatte sich gerade die Bilder im Kapitel „Spinnen“ in seinem Biologiebuch angeschaut und wollte das Buch in seine Schultasche stecken, da klopfte
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