Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition)
es ans Fenster.
Ganz aufgeregt kletterte Viktor auf die Fensterbank und öffnete es.
„Du bist doch noch gekommen!“, jubelte Viktor und hüpfte auf und ab, während Cristobal ganz aufgeregt ein paar glückliche Runden durchs Zimmer flog.
„Ja, es ist doch mein Job“, keuchte Cristobal und setzte sich schwitzend auf Viktors Bett.
Viktor setzte sich neben ihn und sagte: „Ich dachte, du wärst ein Traum gewesen!“
„Nein, ich bin richtig echt! Fass mal an“, sagte Cristobal und streckte einen Flügel aus.
Viktor berührte ganz vorsichtig den winzigen Flügel mit den schimmernden, neonblauen Federn. Der Flügel war so lang wie Viktors kleiner Finger.
„Und hier …“, Cristobal drehte seinen Flügel um, auf der Unterseite waren flauschige, babyrosafarbene Federn.
„Du bist schön“, sagte Viktor.
Cristobal errötete. „Echt?“
Viktor nickte bekräftigend.
„Wie geht es dir?“, fragte Cristobal.
„Ich hatte Läuse.“
„Echt?!“
„Ja. Aber die sind weg.“
„Wohin?“
„Ich habe so ein Shampoo genommen, dann waren sie tot.“
„Oh“, sagte Cristobal enttäuscht.
„Und was hast du so gemacht in den letzten Tagen?“, fragte Viktor.
„Viel Unterricht, ein paar Leute besucht. Und gelernt. Ich habe Dienstag eine Prüfung.“
„Wen hast du besucht?“
Cristobal errötete heftig und sagte verschmitzt: „Catherine Zeta-Jones.“
„Wer ist das?“
„Kennst du Catherine Zeta-Jones nicht?“, kreischte Cristobal schockiert.
Viktor schüttelte den Kopf. Am nächsten Tag musste seine Mutter Oded zur Videothek schicken , um alle Filme mit Catherine Zeta-Jones auszuleihen, damit Viktor endlich Ruhe gab. Sie zerbrach sich tagelang den Kopf, wie er überhaupt auf die Idee gekommen war. Danach musste sie ihm ein Zorro-Kostüm nähen.
„Catherine Zeta-Jones ist …“, fing Cristobal an, „sie ist … sie ist einfach … sie ist die schönste Frau der Welt!“
„Wirklich?“
„Ja!“, schrie Cristobal, flog auf und drehte ein paar schnelle Runden an der Zimmerdecke. „Ja, sie ist eine Königin!“
Als er sich beruhigt hatte, keuchte er: „Ja. Sie hat den besten Honig. Orangenblütenhonig! Und sie hat Bougainvilleas vor dem Haus. Kennst du sie, die großen roten Blumen? Sie hat Millionen! Trillionen! Ich darf so viel Nektar trinken, wie ich will! Und dann streichelt sie meinen Rücken und küsst mir den Kopf.“ Cristobal lief purpurrot an und grinste dämlich.
„Und wieso kommst du zu mir?“ Viktor quälten Komplexe, da er keine Königin war und weder Orangenblütenhonig noch Bougainvilleas hatte. Sein lautstarkes Beharren darauf am nächsten Tag, dass seine Mutter Bougainvilleas im Hinterhof pflanzen solle, führte nur dazu, dass Helena ihn verständnislos anstarrte, bevor sie ihn anschrie, er solle sofort verschwinden. Leider hatte sich Viktor für seine Forderung einen falschen Zeitpunkt ausgesucht. Sie war gerade vom Zollamt zurückgekehrt und telefonierte wütend mit irgendjemandem, eine Lieferung Stoffe war verloren gegangen. Und dass Viktor auf die Idee kam, mit einer leeren Plastikschachtel auf dem Tresen zu trommeln und ununterbrochen „Bougainvilleas! Bougainvilleas!“ zu schreien, war nicht gerade klug, das sah Viktor im Nachhinein auch ein. Aber sie gab ihm immerhin Geld, damit er sich Honig kaufen konnte.
„Ich weiß noch nicht, warum ich zu dir komme, ich bin noch klein, aber deswegen gehe ich zur Schule“, antwortete Cristobal.
„Sind wir jetzt beste Freunde?“, fragte Viktor.
„Klar! Ich werde jetzt immer zu dir kommen und wir werden tun, was beste Freunde tun. Was tun beste Freunde?“
„Spielen.“
„Ich mag spielen!“, rief Cristobal.
„Und miteinander Hausaufgaben machen.“
„Ja, gut“, sagte Cristobal. „Nächstes Mal bringe ich meinen Rucksack mit.“
„Und den anderen immer beschützen und immer für den anderen da sein, wie die drei Muskeltiere.“
„Ich habe Muskeln!“ Cristobal zeigte seinen winzigen Bizeps.
„Willst du Gameboy spielen?“, fragte Viktor.
„ Ich will spazieren!“
„Jetzt?“, fragte Viktor mit weit aufgerissenen Augen. „Es ist spät, und dunkel, und bestimmt kalt.“
„Es ist nicht kalt, es ist warm! Du kannst ja eine Jacke anziehen.“
„Aber es ist gefährlich so spät draußen!“
„Wir haben ja versprochen, einander zu beschützen.“
Viktor überlegte und sagte dann: „ Okay.“ Er nahm seine Winterjacke aus dem Schrank und einen dicken Winterschal für Cristobal. Falls es frieren
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