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Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition)

Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition)

Titel: Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Kassem
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sie Samuels Tochter war, wollte er nicht unhöflich sein, also antwortete er auf ihre Fragen so höflich wie möglich und so ausführlich wie nötig. Sie erzählte ihm dann, dass sie 22 Jahre alt war und vor kurzem aus Salix Alba zugezogen war, weil es ihr dort nicht gefiel und weil sie mit ihrer Mutter nicht klarkam, nun bei ihrem Vater wohnte und den Friseurberuf lernen wollte. Hedera Helix fand sie ein wenig langweilig, aber bisher hatte sie sich doch gut eingelebt, und wenn sie ihre Ausbildung fertig und Geld angespart hatte, wollte sie dann ins Ausland gehen, ganz weit weg, vielleicht nach Frankreich oder Kalifornien. Viktor fand das komisch, aber er hütete sich zu widersprechen, denn immerhin hatte sie eine Schere in der Hand.
    Er beobachtete misstrauisch und wachsam Linda und ihre Handbewegungen mit der Schere, analysierte im Spiegel skeptisch jede Bewegung, aber dann kam er widerwillig zum Entschluss, dass sie ihn wahrscheinlich nicht ermorden und ihm die Schere in den Hals rammen möchte. Sie war nett, das musste er zugeben. Sie erzählte gerade über einen Roller, den sie sich kaufen wollte, und versprach ihm, dass sie ihn dann mit auf eine Fahrt nehmen würde. Während sie sich über ihn beugte, streiften ihre goldenen Haare seinen Arm. Und sie roch gut, ganz anders als Samuel. Zwar hatte sie auch einen Ammoniak-Duft an sich, aber darunter war ein blumiger und frischer Geruch wahrnehmbar. Viktor entspannte sich. Er beobachtete weiterhin ihre Hände mit der Schere, aber konzentrierte sich auf ihre langen, rosa lackierten Fingernägel und die vielen Ringe an ihren Fingern. Dann schaute er sich ihr Gesicht an, das er bisher absichtlich ignoriert hatte, da man verschrumpelt und stirbt, wenn man ins Antlitz des Bösen schaut. Sie hatte sehr große Augen und eine puderige Farbe auf den Augenlidern, was sehr hübsch aussah. Er schaute sich dann ihr Oberteil an, ein weißes, zugeknöpftes Hemd, was Samuel auch immer anhatte, aber ihres war kleiner und im Bereich des Oberkörpers spannte es ein wenig.
    Viktor analysierte ihre Brüste. Er kannte Brüste von seiner Mutter, von Emilia und von den Frauen im Schneideratelier. Einmal kam er in den Anproberaum herein, weil er von seiner Mutter Geld haben wollte. Eine Frau stand auf einem Podest und hatte oben herum nur einen BH an. Helena kniete vor ihr und steckte ihr den Rock ab. Als Viktor mit offenem Mund dastand und den BH beobachtete, stand Helena auf, kam mit schnellen Schritten auf ihn zu und warf ihn aus dem Raum. Linda hatte kleinere Brüste als seine Mutter und größere Brüste als Emilia. Während sie sich über ih n beugte, presste sich ihre rechte Brust an seine rechte Schulter und ihre goldenen Haare, die auf seinem Arm lagen, kitzelten. Der blumige Duft umhüllte ihn und er entschied, dass er in Zukunft seine Haare nur noch von Linda schneiden lassen wolle. Er sah Oded im Spiegel an, Oded zwinkerte. Viktor wollte zurückzwinkern, aber er hatte Angst, dass Linda das sehen würde, und dann würde sie vielleicht denken, dass er Geheimnisse hat, und dann würde sie ihn nicht mehr mögen, also zwinkerte er nicht. Als sie fertig war und „Tadaaa!“ sagte, den Umhang abmachte und einen runden Spiegel hinter ihn hielt, damit er sich seinen Hinterkopf anschaute, kletterte er vom Stuhl herunter, gab ihr die Hand und sagte: „Vielen Dank.“ Sie machte einen kleinen Knicks, strich ihm ein paar Haarsträhnen glatt und gab ihm einen kleinen Klaps auf die Wange.
    Dann ging Viktor mit Oded auf die Toilette, weil Helena ihnen befah l, dass sie auf Toilette müssen. Während sie sich die Hände wuschen, redete Oded ununterbrochen in einem aufgeregten Flüsterton von Linda. Er sagte, dass Viktor zu ihr hingehen und sie zu seinem Geburtstag einladen solle. Viktors Geburtstag war in zwei Wochen, und vor ein paar Tagen musste er seiner Mutter sagen, wen er einladen will. Die Aussicht, dass Linda kommt und ihm womöglich auch ein Geschenk mitbringt, fand er aufregend, also wurde er nervös und wusste nicht, was und wie er ihr das sagen soll. Aber Oded gab ihm ein paar Sätze vor und sie übten ein wenig. Oded war Linda und Viktor war Viktor, er musste ihm, beziehungsweise ihr, sagen: „Hey Linda, in zwei Wochen ist mein Geburtstag! Willst du vorbeikommen?“ Als er den Satz fehlerfrei und ohne sich zu verhaspeln hinbekam, gingen sie raus, Viktor stellte sich vor Linda hin, die gerade einem Mann die Haare schnitt, und sagte den auswendig gelernten Satz laut und deutlich.

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