Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition)
fragen. Er dachte über die Elstern vor seinem Fenster nach, die ab und zu ein kleines Geräusch machten, und fragte sich, ob Hühner auch Vögel waren, und war sich dann ziemlich sicher, dass sie Vögel waren, sie hatten ja Flügel, nahm sich aber vor, sicherheitshalber Cristobal noch mal zu fragen. Falls sie Vögel waren, wollte er dann noch fragen, ob es in Ordnung ist, dass man Hühner isst. Vor ein paar Tagen hatte Andala Hühnerschenkel gemacht, eine Woche davor gab es gefülltes Huhn. Er erinnerte sich, wie das gefüllte Huhn auf dem Teller saß und wie Hamid es mit einem Messer geschnitten hatte. Das gefüllte Huhn war sehr lecker und Viktor fand Hühnerschenkel auch toll, aber er wusste nicht, ob es erlaubt war, jemanden aus der Liga der Vögel zu essen. Er überlegte, ob es vielleicht gut war, Reptilien zu essen, denn das würde bedeuten, dass es dann weniger Reptilien auf der Welt gab. Er nahm sich vor, Andala zu fragen, ob sie ein Reptil kochen kann.
Er wurde wieder nervös und schaute schnell unter dem Bett nach, aber da war nichts. Zur Sicherheit schaute er noch mal in den Kleiderschrank und in seine Spielzeugkisten und in seine n Rucksack und leuchtete mit der Taschenlampe in seine Schuhe, aber da war auch nichts.
Er machte schnell einen Sonnengruß, flüsterte „Ossu“, legte sich hin, schaute den Fischen und den Seesternen zu, bis seine Augen müde wurden und er einschlief.
Pollenkorn
Viktor saß mit seinem Vater in der Kantine von Bresolino Views und erzählte über Karate. Immanuel Abies fand das sehr interessant, und Viktor musste einiges näher erläutern und dann die zwei Regeln beschreiben. Sein Vater versuchte, „Ossu“ zu sagen, während Viktor ihm die richtige Aussprache erklärte. Viktor stand vom Tisch auf und zeigte ihm den Senkutsu Dachi und die Abschiedsverbeugung und wollte ihm auch den Sonnengruß vormachen, aber sein Vater erlaubte ihm nicht, sich auf dem dreckigen Kantinenboden hinzulegen, also setzte sich Viktor wieder an den Tisch und aß sein Schnitzel mit Erbsen und Möhren. Er wollte die Erbsen und Möhren ignorieren und direkt zu der Crème Caramel übergehen, aber sein Vater beharrte darauf, dass Viktor das ganze Gemüse aß und ließ ihn nicht an die Crème Caramel ran, bis jede einzelne Erbse aufgegessen und der Teller vollkommen leer war.
Er erzählte irgendetwas über Mikroskope und Teleskope. Viktor hörte aufmerksam zu. Er nahm sich vor, am Abend im Kinderlexikon nachzuschauen. Sein Vater erzählte über ein Teleskop, das „TEAM 0.5“ hieß, und dass die Geschäftsleitung von Bresolino Views einen Betriebsausflug und eine Konferenz in Kalifornien halten und in drei Wochen da hinfliegen würde, um TEAM 0.5 zu besichtigen. Angeblich war das Mikroskop das beste auf der Welt. „Willst du mit?“, fragte sein Vater.
Viktor fragte , wo Kalifornien sei. Als er hörte, dass Kalifornien in Amerika lag, und er wusste, dass Kanada auch in Amerika ist, verneinte er höflich und sagte, dass er keine Zeit hat, weil er sehr viel für die Schule lernen müsse.
Dann erzählte Immanuel Abies über eine Überraschung, die er für Helenas Geburtstag in zwei Wochen plane. Er hatte es schon heimlich mit den Ateliermitarbeitern besprochen und er wollte, dass sie alle einen Ausflug ans Meer machten. Viktor gefiel diese Idee nicht. Das letzte Mal, als er am Meer war, da hatte er einen schlimmen Sonnenbrand gehabt. Und einen Sonnenstich. Und war auf eine zerbrochene Muschel getreten und sein Fuß hatte geblutet. Helena musste mit einer Pinzette in seiner Fußsohle herumbohren und Viktor hatte wie ein Baby geheult.
Das Meer war in Lantana Camara, eine dreistündige Autofahrt von Hedera Helix. Sie sollten ganz früh morgens losfahren, wollten den ganzen Tag dort verbringen und dann abends zurückfahren. Viktor rechnete nach und überlegte, dass das bestimmt zehn Stunden waren, die sie am Meer verbringen würden, was verdammt viel Zeit war. Zehn Stunden waren sehr viel Sonne und sehr viel Wind und sehr viele Muscheln. Er merkte vorsichtig an, dass er das Meer für keine sehr gute Idee hielt, aber sein Vater ignorierte seinen Kommentar und redete weiter. Also fragte Viktor, wer denn alles mitkommen würde.
„Bisher haben die Atelierleute alle zugesagt. Opa Gideon kommt auch mit. Oded wird mit dem Atelierwagen fahren, ich fahre mit meinem Auto, also haben wir zehn freie Plätze.“
Viktor rechnete nach: Er, seine Mutter, sein Vater, Opa Gideon, Oded, Gem, Hala … das
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