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Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition)

Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition)

Titel: Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Kassem
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auch. Aber was machen wir, bevor wir mit dem Karate anfangen?“
    Emil zeigte auf. „Aufwärmen.“
    „Richtig! Wir wärmen uns auf. Wir laufen jetzt zehn Runden durch die Halle. Nicht schnell. Es geht nicht darum, wer am schnellsten fertig ist. Wir laufen zwei Runden so langsam wir können, so langsam es überhaupt geht. Der Langsamste wir der Beste sein. Dann laufen wir zwei Runden ein wenig schneller. Ich gebe das Tempo vor und ihr lauft mir nach. Dann laufen wir immer ein wenig schneller, nur ein klein wenig schneller als die Runde davor. Und die allerletzte Runde, die laufen wir dann so schnell wir können, so schnell es überhaupt geht.“
    Sie liefen dann. Angh Park lief vorne und alle folgten ihm. Ab und zu rief er „Wie lautet die erste Regel?“ oder „Wie lautet die zweite Regel?“ und alle riefen ihm die Antwort zu. Und er rief: „Seid ihr ein kleiner Mann?“, und alle riefen atemlos: „Nein!“ Und Angh Park rief: „Seid ihr wahre Männer des Dō?“ und alle schrien: „Ja!“
    Als sie fertig waren und alle schwitzend und außer Atem herumstanden, fragte Angh Park, was sie jetzt machen werden. „Dehnen“, antwortete Viktor . Angh Park rief: „Sehr gut!“, kreiste dann mit den Schultern und mit den Armen und mit den Handgelenken und fasste sich an den Zehen und machte Kniebeugen, Liegestütze und Sit-ups und streckte sich auf dem Boden aus und machte viele komischen Bewegungen, und alle machten es ihm nach. Er zeigte ihnen etwas, das „Sonnengruß“ hieß, eine Abfolge von verschiedenen Bewegungen, und sie machten das so lange, bis jeder die Bewegungen auswendig konnte. Dann sagte Angh Park, dass dieser Sonnengruß eine sehr gute Übung sei, um den Geist zu kontrollieren und sie diese Übung immer so oft es geht machen sollen zu Hause.
    Dann zeigte Angh Park den Senkutsu Dachi, die Grundstellung. Sie stellten sich hin, winkelten das vordere Knie, streckten die Arme aus und ballten die Fäuste. Angh Park ging herum und korrigierte jeden Jungen. Er schob Becken zurecht, stellte Beine weiter auseinander oder näher zusammen, winkelte Knie an, streckte Beine, zeigte , wie eine Faust richtig geballt wird, machte Kreuze gerade, drückte Schultern nach unten und bemängelte lange Fingernägel und sagte, dass lange Fingernägel nicht Karate seien und sie alle immer kurze, saubere Fingernägel haben müssen.
    Dann mussten sie sich ein wenig durchschütteln und auf der Stelle hüpfen und dann wieder Senkutsu Dachi machen. Angh Park ging wieder reihum und korrigierte die Haltungen. Dann mussten sie sich wieder schütteln und wieder hüpfen und sich wieder in die Grundstellung begeben. Dann stellten sie sich paarweise frontal zueinander und mussten sich begrüßen und „Ossu“ sagen. Und dann Senkutsu Dachi machen. Dann machten sie zwei Sonnengrüße und Angh Park entließ sie. Er verbeugte sich und sagte „Ossu“ und alle machten es ihm nach, verbeugten sich und sagten „Ossu“.
    Viktor erklärte Oded im Auto ganz ausführlich, was er in der Karatestunde gelernt hatte. Zu Hause zeigte er seiner Mutter alle Bewegungen und erläuterte ihr die zweite Regel. Sie sah ganz begeistert aus und erlaubte ihm, noch Fahrrad zu fahren.
    Er fuhr auf dem Bürgersteig die Aquifoliumstraße hoch und runter und schaute sich alles an. Aber außer zwei Autos, die dort parkten, gab es nichts zu sehen. Es war Abend und sehr ruhig. Er überlegte, ob er vielleicht ein wenig weiterfahren sollte, in die Pazifikstraße vielleicht, aber er durfte das nicht und er wusste, dass falls er es doch tat, dann würde es Helena erfahren und dann bekäme er bis zum Ende seines Lebens Hausarrest. Helena erfuhr immer alles, einfach alles, egal wie heimlich er es zu machen versuchte. Je heimlicher er etwas tat, desto schneller erfuhr sie es. Viktor fand das gruselig. Außerdem fühlte er sich von den Vögeln beobachtet, die in den Bäumen saßen, im Gebüsch raschelten oder am Himmel flogen, und er traute sich nicht, etwas Unerlaubtes zu machen.
     
    Am Abend übte er auf seinem Zimmer den Sonnengruß. Es war zwar keine Sonne mehr da, aber er wusste, dass die Sonne irgendwo am Himmel war, nur unsichtbar, und sie am nächsten Tag wiederkommen würde, also machte er die Übung, um ihre Wiederkehr zu beschleunigen. Vielleicht sollten die Leute in Kanada auch diese Übung machen, überlegte er. Wenn alle Leute in Kanada den Sonnengruß sehr oft machten, vielleicht kommt sie dann wieder und dann ist es nicht mehr so ein komisches, dunkles

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