Between Love and Forever
Tablett hoch, das ich später wieder mit runternahm. Das Essen war jedes Mal unberührt und Tess lag stumm im Bett und starrte an die Decke. Manchmal war sie richtig giftig, warf mir eisige Blicke zu oder behandelte mich wie Luft, was noch viel schlimmer war. Schaute durch mich hindurch, so wie sie es bei Claire machte.
Dann ging Tess ans College, aber das Sonntagsfrühstück behielten wir bei. Nur mit dem Unterschied, dass Dad jetzt manchmal seine Pfannkuchenrezepte abwandelte (die Pfefferkuchen-Variante war ein Hit, die Maismehlpfannkuchenweniger) und Mom nach ihrem letzten Arztbesuch auf Putenschinken und »Light-Ei-Produkte« umstieg.
Selbst nach dem Unfall, als wir wussten, dass Tess nicht so schnell nach Hause kommen würde, frühstückten wir noch zusammen. Alles blieb beim Alten, außer dass in den ersten Wochen auffallend viele Eierschalenstückchen in den Pfannkuchen waren und Mom oft den Speck verbrennen ließ.
Heute Morgen gibt es Erdnussbutterpfannkuchen und ich nehme das Erdbeergelee und verteile es auf einem Pfannkuchen, rolle ihn zusammen und schaue zu, wie das Gelee sich verflüssigt, aus dem Pfannkuchen herausquillt und über meinen Teller tropft.
»Abby, willst du nicht heute mal mit uns zu Tess kommen?«, sagt Mom und legt zwei Scheiben Putenschinken auf meinen Teller.
»Du meinst, wegen gestern Abend?«
»Wieso? Was?«, fragt Mom.
»Ach nichts«, murmle ich, aber es ist zu spät. Mom setzt sich auf den Platz mir gegenüber und sagt: »Abby, bitte«, und ich weiß, sie wird keine Ruhe geben, bis ich den Mund aufmache.
Also erzähle ich es ihr und sie wechselt einen Blick mit Dad, als ich zu Ende geredet habe, dann schaut sie wieder mich an. »Abby, wir wissen, wie sehr du dir wünschst, dass Tess aufwacht. Und wir möchten das auch, weiß Gott. Aber bis jetzt gibt es keinerlei Anzeichen dafür ...«
»Aber ich hab’s doch gesehen.«
»Wir ...«, fängt Dad an und Mom wirft ihm einen Blick zu, schüttelt leicht den Kopf.
»Aber sie muss es wissen, Katie, sie hat ein Recht darauf«, protestiert Dad und setzt sich mit seinem Pfannkuchenteller an den Tisch. »Wir haben auch manchmal den Eindruck, dass sie sich bewegt«, fährt er fort. »Vor allem anfangs war das so, in der ersten Zeit nach ihrem Unfall. Aber der Arzt sagt, sie reagiert nicht – nicht so, wie du meinst jedenfalls. Ihre Gehirnaktivität ... ist minimal.«
»Minimal«, wiederhole ich und der Appetit ist mir vergangen. Tess liegt schon so lange im Krankenhaus, dass ich Zeit genug hatte, den Ärztejargon zu lernen, und »minimale Gehirnfunktion« bedeutet, dass Tess – die Tess, die ich kenne, deren Bücher und Kleider oben in ihrem Zimmer auf sie warten – nicht mehr da ist. Für die Ärzte ist sie nur noch eine leere Hülle.
»Wir wollten, dass du heute mit uns hingehst, weil ... also, dein Vater und ich ... wir werden Tess in ein ...« Mom presst die Hände zusammen, verknotet sie ineinander, bis ihre Knöchel als gerade weiße Linie hervortreten. »Wir müssen sie in eine Langzeitpflege-Einrichtung geben. Das Heim liegt noch hinter Milford, in Oxford Hill.«
»Was?«, sage ich fassungslos und starre Dad an. »Warum?«
Er schaut auf den Tisch hinunter. »Weil unsere Versicherung nicht mehr ... das Problem ist, dass sie sich andie Einschätzung der Ärzte halten müssen, jedenfalls behaupten sie das, und das bedeutet, dass wir uns das Krankenhaus nicht mehr lange leisten können.«
»Was heißt das? Wie lange kann sie noch bleiben?«, bringe ich mühsam hervor, weil ich kaum noch Luft bekomme. Ich ersticke gleich, denke ich, aber es stimmt ja nicht. Ich rede noch.
Lebe weiter.
»Ungefähr eine Woche«, sagt Mom. »Vielleicht ein bisschen länger, aber wir wissen es nicht. Wir müssen warten, bis der ganze Papierkram für die Aufnahme in das Pflegeheim erledigt ist.«
»Und wenn sie doch wieder aufwacht?«, sage ich. »Dann ist niemand da. Dann ist sie ganz allein und ...«
»Sie ist nicht allein«, sagt Dad. »Wir besuchen sie weiterhin, deine Mom und ich. Daran ändert sich nichts.«
»Und ich? Wie soll ich mit dem Fahrrad nach Oxford Hill rauskommen? Das sind zwanzig Meilen von der Fähre aus und ich kann doch nicht ...« Ich verstumme, schlucke meine Worte hinunter.
Weil ich das, was ich sagen wollte, nicht aussprechen darf. Ich kann doch nicht sagen: »Das halt ich nicht aus. Ich will nicht mein restliches Leben hier bei euch und bei Tess im Pflegeheim verbringen.« Wie soll ich meine Eltern allein lassen,
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