Between Love and Forever
Geschichte anvertraut.
»Aha, du lächelst und schweigst«, sagt Claire. »Du hast also die Schule geschwänzt und – warte, ich weiß. Du warst bei ihm zu Hause, stimmt’s?«
»Ja«, sage ich, und als sie mich mit einer Handbewegung zum Weiterreden drängt, schüttle ich den Kopf. »Da war nichts.«
»Ach, du lügst doch. Das seh ich an der Art, wie du ... oh, verdammt, du wirst ja rot!«
»Ach Quatsch«, brumme ich und sie lacht und sagt: »Du warst also bei ihm zu Hause und dann ...«
»Ich war eine Weile bei ihm und dann bin ich gegangen. Das ist alles.«
»Abby ...«
»Ehrlich, das ist alles, ich schwör’s«, sage ich. »Okay, wir haben uns beinahe geküsst oder so was Ähnliches ...«
Claire wirft triumphierend beide Arme hoch, bis ich sie in die Rippen stoße und sage: »Lass das. Ist doch nichts weiter.«
»Na und ob. Der Beweis ist, dass ich so lange gebraucht habe, um es dir aus der Nase zu ziehen. Und Abby, ich hab das ernst gemeint, was ich vorher gesagt habe. Du darfst glücklich sein. Es ist dein gutes Recht.«
Ich will ihr so gern glauben. Mit aller Kraft. Am liebsten würde ich sie anbetteln, es noch mal zu sagen. Und deshalb wechsle ich schnell das Thema. »Hast du meine Eltern heute gesehen?«
»Nein, sie waren nicht da, als ich gegangen bin. Warum? Hast du Angst, sie erfahren, dass du nicht im Krankenhaus warst? Wäre das – ich meine, sie verlangen doch nicht, dass du Tess jeden Tag besuchst?«
»Nein«, sage ich. »Nicht deswegen. Es ist nur ... Ich hoffe, sie sind okay. Gestern hat Beth Tess’ ganzen Krempel bei uns abgeladen. Sie ist einfach mit ihren Kartons angerauscht und dann wieder abgehauen. Tess wollte sowieso ausziehen, behauptet sie, und sie hat jetzt eineandere Mitbewohnerin, aber muss sie deshalb gleich Tess’ Sachen loswerden? Sie hat schließlich fast zwei Jahre mit ihr zusammenge...« Ich verstumme. Irgendwas ist mir da gerade herausgerutscht, das mich stutzen lässt. Mir dreht sich der Kopf.
»Na ja, vielleicht ist ihr Zimmer zu klein?«
»Sie hatten eine Wohnung«, sage ich zerstreut. »Tess hat gesagt, dass sie mehr Platz brauchen, deshalb sind sie nach ihrem Freshman-Jahr vom Campus weggezogen.«
Und plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Was Beth mir eigentlich sagen wollte, als sie mir erzählt hat, dass Tess und sie nicht mehr zusammenleben wollten. Das war im Krankenhaus bei Tess und ich habe gesehen, wie sie Tess’ Haare gestreichelt hat. Ich hab ihr Gesicht dabei gesehen.
Wie sie Tess angeschaut hat, als sie sich unbeobachtet fühlte. Die Traurigkeit in ihren Augen.
Die Liebe.
Beth und Tess waren nicht nur Zimmergenossinnen. Sie haben zusammengelebt. Kein Wunder, dass Beth immer dabei war, wenn Tess vom College nach Hause gekommen ist. Ich denke an die Fotos mit all den Typen, die Tess auf ihrem Schreibtisch liegen hat. Und jetzt weiß ich, wer die Kamera gehalten hat. Beth. In Wahrheit hat Tess nicht die Jungs angeschaut, sondern Beth.
Beth und Tess waren zusammen.
»Oh, verdammter Mist«, hauche ich.
»Was?«, sagt Claire und ich sage es ihr. Ihre Augen weiten sich, aber ich kann den Ausdruck darin nicht lesen.
»Wusstest du das?«, frage ich, aber bevor sie mir antworten kann, legt die Fähre an und wir müssen alle zu unseren Autos zurück. Ich natürlich zu meinem Fahrrad.
Ich bin sicher, dass Claire auf mich wartet, wenn ich von der Fähre herunterkomme, und mich nach Hause bringt, damit wir über die Entdeckung sprechen können, die ich gerade gemacht habe. Aber sie ist nicht da.
Was mich eigentlich nicht wundert. Wahrscheinlich haut sie das noch mehr um als mich. Ich kann mir ungefähr vorstellen, was in ihr vorgeht. Tess mit ihren tausend Verehrern und dann geht sie ans College und verliebt sich in ihre Mitbewohnerin!
Ich fahre wie in Trance nach Hause, setze mich ins Wohnzimmer, um über alles nachzudenken. Als Mom und Dad nach Hause kommen, schaue ich sie an. Ich frage mich, ob sie es wissen.
Ich schaue in ihre müden Gesichter, ihre traurigen Augen und nein, ich glaube nicht, dass sie es wissen. Wie denn auch? Ich wusste nichts, obwohl ich doch viel mehr von der wahren Tess mitgekriegt habe, als Mom und Dad sich je ausmalen können. Von dem Dunklen, das unter ihrer strahlenden Fassade lag.
Soll ich es ihnen erzählen?
Nein. Es ist nicht meine Geschichte, sondern die von Tess. Und Tess hat geschwiegen, also wollte sie nichts erzählen. Sonst hätte sie es getan.
Jeder hat eine unerzählte Geschichte und
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