Beuterausch
dir gleich. Aber zuerst brauche ich einen Kugelfang. Wir wollen ja keine Querschläger.«
An der Wand lehnt ein Stück Bauholz, 15 x 15 Zentimeter im Durchmesser und einen Meter lang. Er hält ihr die Pistole an die Wange, damit sie nicht wieder auf die Idee kommt zu beißen, und legt den Balken auf das Regalbrett hinter ihr, sodass sich hinter ihrer Schulter und direkt neben dem linken Ohr fast zwanzig Zentimeter Holz befinden.
Er tritt zwei Schritte zurück, zielt, und als die Frau die Augen schließt und sich für das wappnet, was sie erwartet, richtet er die Pistole nach links auf das Holz und schießt.
Sogar mit dem Gehörschutz ist der Knall extrem laut in dem Keller. Holz zersplittert und fliegt umher. Die Frau schreit. Das Schreien verwandelt sich in ein Brüllen. Ihr Kopf zittert von der Erschütterung, dann schaukelt er hin und her. Er setzt die Ohrenschützer ab und steckt sie in die Tasche.
Sie stöhnt. Immer wieder öffnet und schließt sie den Mund wie ein Fisch auf dem Trockenen. Blut rinnt über ihr Kinn und tropft am Hals herab.
Er hat ihr das Trommelfell rausgeblasen.
Das wird dich lehren, mich zu beißen, denkt er.
Die Augen öffnen sich. Er erkennt Schmerz und Wut darin. Aber vor allem Schmerz.
»Ich fühl mich schon besser, wegen meines Fingers«, erklärt er ihr.
Er grinst. Tatsächlich tut es mittlerweile nicht mehr so weh. 750 Milligramm Vicodin haben gut geholfen.
»Ich komme bald zurück. Mit meiner Frau und den Kindern. Und du bist brav oder …«
Er hebt die Pistole, richtet sie auf das andere Ohr in der Absicht, ihr mitzuteilen, dass er dieses Trommelfell auch noch wegpusten könne, doch sie missversteht ihn, zerrt wild an den Kabelschellen und brüllt wieder, wirft sich nach hinten gegen das Regalbrett und nach vorn in ihre Fesseln. Die Hölle bricht aus dort unten.
Er senkt die Waffe.
Sofort beruhigt sie sich.
Braves Mädchen, denkt er. Siehst du? Du bist lernfähig.
Er geht auf die Treppe zu, aber etwas lässt ihn innehalten. Die Stille. Nach all dem Tumult kommt sie ihm unnatürlich vor. Er wirft einen Blick über die Schulter zurück. Die Frau steht reglos da wie eine Statue.
Sie beobachtet ihn.
Im Dunkeln legt sie den Kopf zur Seite, um das Blut aus dem Ohr fließen zu lassen. Die Dunkelheit brüllt sie an wie Sturmwellen, die auf die Küste donnern, und sie denkt an diese Wellen und diese Küste und fragt sich, wie weit sie entfernt sind und ob sie sie jemals wiedersehen oder einfach bei dem Versuch sterben wird.
Eines von beiden wird geschehen.
Und zwar bald.
10
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Manchmal denkt Chris, in seinem Zuhause und bei seiner Familie dreht sich alles nur ums Essen.
Er arbeitet, um Essen auf den Tisch zu bringen. Wenn die Kinder morgens aufstehen, hat Belle das Frühstück fertig und eine Stunde später auch die Lunchpakete für die Schule. Wenn er von der Arbeit heimkommt, gibt es gegen sechs Uhr Abendessen. Das Haus riecht immer nach Kochdünsten. Oder nach Gebäck. Nach dem unfassbaren Unfall – ihr Vater nüchtern, immer nüchtern, aber der Highway glatt vom Eisregen – blieb Belle nicht viel von ihren Eltern, aber das Talent zum Backen hat sie von ihrer Mutter geerbt. Maisbrot. Bananenbrot. Kuchen und Torten.
Bei dem Wettbewerb auf dem letzten Jahrmarkt hat sie mit ihrem Blaubeerkuchen den dritten Platz gewonnen.
Heute ist das Maisbrot an der Reihe. Er kann den feinen Geruch über dem des Schmorbratens wahrnehmen, als er zur Tür hineingeht. Er liebt Belles Maisbrot.
Brian lümmelt auf dem Sofa herum und sieht auf dem 42-Zoll-Flachbildfernseher irgendeinen alten Clint-Eastwood-Film. Chris drückt das Magazin aus der Springfield und reicht es ihm.
»Eine fehlt«, sagt er.
»Ich hab’s gehört. Worauf hast du geschossen, Papa?«
»Wirst du schon sehen.«
Chris sieht sich eine Minute lang den Film an. Eastwood bereitet einen Gefängnisausbruch vor. Brian geht zum Schrank, holt die Schachtel mit den Patronen heraus, steckt eine frische in das Magazin und gibt es ihm zurück. Chris schiebt das Magazin hinein, sichert die Waffe und stopft sie sich wieder in die Jeans. Dann geht er in die Küche. Und dort auf dem Tisch steht das Maisbrot. Er versteht nicht, wie Peggy und Darlin’ der Versuchung des Brots, das gleich vor ihnen liegt, widerstehen konnten. Peg hilft ihrer Schwester bei irgendeinem Puzzle. Cleek versucht nicht einmal, sich zu beherrschen. Er nimmt eines der quadratischen Stücke und beißt hinein.
Warm und köstlich.
»Du verdirbst dir den
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