Beuteschema: Thriller (German Edition)
jedoch nicht bekannt vor, denn es waren die eines verängstigten achtjährigen Kinds, das gerade Zeuge eines furchtbaren Verbrechens geworden war.
Und dann fing sie an, sich zu erinnern. In dem Raum auf dem Revier hatten Stofftiere auf den Stühlen gelegen. Sie hatte auf einer Couch neben einer Psychologin gesessen, und der Detective saß auf einem Hocker ihr gegenüber. An der Formulierung ihrer Fragen erkannte sie, dass die beiden freundlich gewesen waren und sich bemüht hatten, sie nicht noch mehr zu traumatisieren, als sie ohnehin schon war. Sie versuchten, ihrem kindlichen Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, ohne die Grenze zu Suggestivfragen zu überschreiten. Die Befragung war kurz gewesen, und Claire hatte ihnen erzählt, was sie noch wusste. Was, wie sie erkannte, sehr viel weniger war als das, woran sie sich jetzt erinnerte.
» Ich habe ihnen ja kaum etwas erzählt«, sagte sie zu Nick, ohne den Blick von der Seite zu nehmen. » Auf jeden Fall nicht genug, um ihnen zu helfen.«
» Sie waren acht«, sagte Nick. » Und Sie waren zu Tode verängstigt. Gehen Sie nicht so hart ins Gericht mit sich.«
» Sie haben mich gefragt, wie er aussah«, sagte Claire und zeigte auf die betreffende Seite. » Ich sagte, er war groß, hatte braunes Haar und eine große Nase, und er trug ein kurzärmeliges Hemd und eine Kaki-Shorts. Sie haben gefragt, was für einen Wagen er fuhr, und ich sagte, dass er weiß war und vier Türen hatte. Das Kennzeichen hatte ich nicht gesehen.«
» Das ist mehr, als wir von den meisten Zeugen erfahren«, warf Hart von der andern Seite des Raums ein, ohne aufzublicken. » Und von Kindern sowieso.«
Sie las weiter, und die Szene spulte sich vor ihren Augen ab, wie sie es Tausende Male in den letzten zwanzig Jahren getan hatte.
Er fuhr in dem leuchtend weißen Auto vor das Haus.
Er sah nervös aus.
Ich blinzelte. Ich bin vor ihm zurückgewichen.
Dann hat er Amy die Geschichte über ihren Vater erzählt.
» Ich habe geblinzelt«, sagte Claire.
» Was?«, fragte Nick und sah auf.
» Nichts«, sagte Claire, aber es war alles andere als nichts. Etwas nagte an ihr.
Warum habe ich geblinzelt?
Sie versuchte, die Szene in ihrem Kopf zurückzuspulen und in Zeitlupe noch einmal laufen zu lassen. Als wäre sie auf Video aufgenommen. Sie konnte Winslow deutlich aus dem Wagen steigen sehen. Auf sie zukommen. Claire direkt ansehen.
Er hat mich angesehen?
Sie verlangsamte das Band in ihrem Kopf noch weiter, wie einen Film, in dem sie die einzelnen Bilder genau sehen konnte.
Die achtjährige Claire blickte auf.
Sie stellte Augenkontakt mit Winslow her, der fast genau vor ihr war.
Sie spürte, wie sie die Nase krauszog.
Er drehte den Kopf zu Amy.
Ich habe die Nase krausgezogen.
Ein Geruch war ihr in die Nase gestiegen. Als hätte jemand gerade ein Foto gemacht.
Ein Polaroidfoto.
Claire schoss beinahe von ihrem Stuhl hoch und erschreckte Hart und Nick.
» Alles in Ordnung?«, fragte Hart beunruhigt.
Aber Claire hatte nur Augen für ihre Aussage, und Tränen fielen auf die Seiten, die sie eine nach der anderen hastig überflog, während sie nach einem Satz suchte, den sie nicht finden würde.
» Es ist nicht da«, sagte sie, als sie ihre Befürchtungen bestätigt fand.
Nick warf Hart einen Blick zu, ehe er sich ihr zuwandte. » Was ist nicht da?« Etwas schien tief in ihr freigesetzt worden zu sein, wie er sah.
» Der Geruch«, brachte Claire heraus. » Ich habe ihnen nie etwas von dem Geruch gesagt.
» Sie haben etwas gerochen?«, fragte Hart und klappte den Ordner in seiner Hand zu.
Claire bemühte sich, die Fassung wiederzugewinnen. » Mein Vater hatte so eine alte Polaroidkamera«, erinnerte sie sich. » Er liebte es, Bilder von mir damit zu machen. Aber dann musste ich immer dabeisitzen, wenn das Bild aus der Kamera kam und wenn er das Papier darüber abzog… und ich hasste den Geruch.«
» Den Geruch des Bildes«, stellte Nick klar.
» Deshalb habe ich die Nase gerümpft, als Winslow die Einfahrt heraufkam. Er hat mich direkt angesehen. Er war fast vor mir, und ich habe die Nase gerümpft und bin zurückgewichen…«
» Weil er wie ein Polaroidbild roch«, folgerte Hart. » Er stank nach Entwicklerflüssigkeit.«
Er warf Nick einen Blick zu. Jedem Detective musste klar sein, dass es sich um eine bedeutende Spur handelte.
» Aber ich habe es der Polizei nie gesagt«, fuhr Claire fort. » Ich habe es ihnen nie gesagt, weil…« Sie senkte den Blick und rang um
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