Beuteschema: Thriller (German Edition)

Atem.
    Dieses Mal zögerte Nick nicht, den Arm um ihre Schulter zu legen. » Weil Sie es waren, auf die es Winslow eigentlich abgesehen hatte«, sagte er so sanft wie zuvor. » Sie haben ihn gerochen, und Ihr Gesichtsausdruck muss ihn abgestoßen haben. Sie sind zurückgewichen, und er hat seine Aufmerksamkeit Ihrer Freundin zugewandt.«
    » Sehen Sie?«, sagte Claire, und ihre Augen waren feucht, als sie zu Nick aufblickte. » Es war doch meine Schuld. Er wollte mich. Ich sollte sein Opfer sein, nicht Amy.« Claire schnappte nach Luft, als würde sie ertrinken. » Ich habe es der Polizei nicht gesagt, weil ich mich geschämt habe, es zuzugeben…«
    » Nein«, sagte Nick. » Dieser Blick hat Ihnen das Leben gerettet. Und Sie haben es der Polizei nicht erzählt, weil Sie Angst hatten, man könnte Ihnen die Schuld geben. Aber es war auf keinen Fall Ihre Schuld, dass Winslow Amy entführt hat.«
    Einfach so wurde Claire wieder zu dem verängstigten achtjährigen Mädchen von damals. Und sie tat, was sie damals getan hatte: Sie begann zu weinen und vergrub ihr Gesicht an der Schulter des Polizisten. Nur dass es diesmal Nick Lawlers Schulter war.

22
    Eine Viertelstunde später saß Claire, jetzt wieder vollkommen gefasst, zusammen mit Nick und Hart in einem reichlich abgenutzten Ledersessel in Captain Killians Büro. Der Raum war klein, dunkel und stickig, als wäre Licht ein Feind. Claire fragte sich, wie viele andere Opfer im Lauf der Jahre hier schon saßen– und wie viele eine Antwort bekommen hatten.
    Obwohl das Trio gerade erst angefangen hatte, die unzähligen Schachteln mit Amys Akten zu durchstöbern, stürzten sich Nick und Hart auf Claires Enthüllung, dass Mr. Winslow nach Entwicklerbad gerochen hatte. Es war eine zu bedeutende Spur, um sie einfach zu übergehen. Dennoch schüttelte der Captain zweifelnd den Kopf.
    » Sie sind hier aufgewachsen«, sagte Killian zu Claire. » Deshalb muss ich Ihnen nicht erklären, was für eine Nadel im Heuhaufen das ist.« Er sah Nick an. » Sie sind nicht hier aufgewachsen, deshalb kläre ich Sie rasch auf. Damals, 1989, war Rochester noch Kodak City. Die halbe Stadt ist nach George Eastman benannt, und bis Digitalkameras aufkamen und das Geschäft mit Filmen stark dezimierten, war Kodak der größte Arbeitgeber im County. Ich möchte nicht raten müssen, wie viele Leute, die hier in den Fabriken arbeiteten, jeden Abend nach Hause kamen und nach Entwickler stanken.«
    Hart hatte Killians Reaktion erwartet. » Boss«, sagte er und gab ihm eine Mappe, » der Vater des Opfers Amy Danforth war leitender Angestellter im Vertrieb bei Kodak. Da der Entführer gesagt hatte, er würde mit Amys Vater zusammenarbeiten, hat Kodak bei den Ermittlungen kooperiert.« Er gestikulierte in Richtung Claire. » Man hat das Phantombild des Verdächtigen, das nach Dr. Waters’ Angaben damals erstellt wurde, mit den Fotos in den Werksausweisen sämtlicher Kodak-Angestellten verglichen. Es gab keine Übereinstimmung, und der Name Winslow tauchte in der Personalliste nur einmal auf und gehörte einer Frau, die 2002 starb.«
    Nick rutschte in seinem Sessel umher. » Wir glauben, dass Amys Entführer möglicherweise mit Kinderpornografie zu tun hatte.«
    Killian runzelte die Stirn. » Sie meinen, er war auf der Suche nach einem weiteren kleinen Mädchen, von dem er Bilder machen konnte?«
    » Damals gab es noch kein Internet«, sagte Nick. » Der einzige Weg, wie Pädophile ihre kranken Bilder mit anderen Perversen austauschen konnten, war entweder persönlich oder per Post. Und sie konnten ihre Filme schwerlich in einem Laden entwickeln lassen, deshalb mussten sie es selbst tun.«
    Killian schloss die Mappe und legte sie auf den Tisch. » Wurde damals die Möglichkeit geprüft, dass Amy von einem Kinderpornoring entführt wurde?«
    » Ja«, erwiderte Hart. » Die Informationen über sie und ihr Bild wurden an das FBI und das Nationale Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder geschickt. Natürlich ohne Ergebnis.«
    Der Captain lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. » Also gut, Al«, gab er schließlich nach. » Es ist zwar nur eine vage Möglichkeit, aber die Entwicklerflüssigkeit ist wohl die einzige frische Spur, die wir haben.«
    » In meiner Kindheit«, sagte Claire nervös und gleichzeitig aufgeregt, weil sie der Ermittlung vielleicht eine neue Richtung gegeben hatte, » gab es einen Nachbarn in unserer Straße, der professioneller Fotograf war. Er war immer bei Hochzeiten,