Beutewelt 01 - Bürger 1-564398B-278843
auch nicht in zwei Sätzen zu erklären, vor allem wenn du dich vorher noch nie damit befasst hast“, fügte Alf seiner kleinen Rede hinzu.
Frank signalisierte, indem er sich umdrehte und die Decke über den Kopf zog, dass er jetzt wieder schlafen wollte. Es war zwar erst 21.16 Uhr, aber der junge Mann war noch immer vollkommen erschöpft und fühlte sich wie leer gesaugt. Er dämmerte noch einer Stunde vor sich hin und musterte die schäbige, dunkelrote Tapete aus den Augenwinkeln, dann schlief er tief und fest ein.
Am nächsten Morgen fühlte sich Frank Kohlhaas ungewohnt erholt. Er hatte über 13 Stunden fest geschlafen und war zum ersten Mal seit Monaten weder aufgeschreckt, noch hatte er einen Albtraum gehabt. Er fühlte sich ungeahnt gut und bemerkte, dass Alf ihm frische Kleider neben seinen Schlafplatz gelegt hatte.
Kohlhaas trug bis dahin immer noch seine weißen Gefängniskleider, die erbärmlich nach Schweiß stanken und mit den dunkelroten, eingetrockneten Blutspritzern des Polizisten aus dem Van übersäht waren.
Frank trottete verschlafen aus seinem Zimmer und bemerkte, dass es sehr still im Haus war. In der Küche saß niemand, so dass er sich in Ruhe umschauen konnte. Alles sah sehr ärmlich aus. Dreckiges Geschirr türmte sich in einer halbverrosteten Spüle zu Bergen auf. In der Ecke hatte sich ein Schimmelfleck gebildet. Alf hauste wahrlich in einer Bruchbude, wenn es denn überhaupt sein Haus war.
Sein Mitbewohner schien jedenfalls nicht da zu sein. Der junge Mann ging über eine alte Holztreppe in die obere Etage, wo er nur ein paar leere und sehr dürftig renovierte Räume vorfand. Einer davon war voll mit Kartons und Holzkisten, fast bis zur Decke. Alf Bäumer war allerdings auch hier nirgendwo zu finden.
„Wo bin ich hier überhaupt?“ dachte Frank und strich sich mit der Hand über sein noch müdes Gesicht.
Er hatte seit der Flucht aus dem Gefängniskomplex noch nicht die geistige Verfassung gehabt, sich darüber Gedanken zu machen, an was für einem Ort er hier überhaupt verweilte und wer diese Leute, die ihn hierhin mitgenommen hatten, denn waren.
Er trat durch die Haustür nach draußen und ließ sie einen Spalt breit offen, damit er wieder ins Haus zurück konnte, denn einen Schlüssel für die schäbige Tür hatte er nicht.
Wenn man die Straße, in der Alfs verfallenes Haus stand, hinabblickte, konnte man eine Reihe weiterer Bruchbuden erblicken, die auf jeder Seite standen. Einige der Häuser schienen noch leer zu stehen, manche hatten verwitterte Fassaden und in den ehemaligen Gärten hatte sich ein sprießender Wildwuchs ausgebreitet. Bei einigen waren die Fenster mit verrotteten Brettern wohl vor langer Zeit zugenagelt worden, ein Haus hatte sogar ein eingefallenes Dach.
Hier und da war aber auch eines der Häuser wieder hergerichtet worden und Frank vernahm aus der Seitenstraße die Stimmen von Kindern. Ihre Sprache konnte er sogar verstehen, es war deutsch.
Die Märzsonne schien auf die Dächer, egal ob verfallen oder wieder geflickt. Trotzdem schienen in diesem abgelegenen Dorf nicht wirklich viele Menschen zu wohnen. Frank erblickte zwei Männer, die Kisten aus einem Lieferwagen ausluden, irgendwo knatterte ein Traktor in der Ferne und aus dem Haus gegenüber blickte eine Frau mittleren Alters aus dem Fenster. Frank ging die Straße hinunter und kam zu einem Platz, der wohl früher das Zentrum des kleinen Dörfchens gewesen sein musste. Auch hier spross das Unkraut aus allen Ritzen und überwucherte den größten Teil des alten Kopfsteinpflasters, welches den Platz weitgehend bedeckte.
Hier musste es einmal den einen oder anderen kleinen Laden gegeben haben, jedenfalls waren hier, in der Mitte des Dorfes, drei Häuser, die im Erdgeschoss große Schaufenster hatten. Zwei der großen Scheiben waren eingeschlagen worden und die Gebäude vergammelten vor sich hin. Die Scheibe des anderen Hauses war komplett mit einem vergilbten Klebeband zugeklebt.
In der Mitte des Platzes befand sich ein fast vollständig von Büschen überwucherter Gedenkstein, der von einem eingerissenen Holzzaun umringt war. Man konnte kaum etwas erkennen und zudem war die Inschrift auf kyrillisch, was der aus „Europa-Mitte“ stammende Betrachter ohnehin nicht lesen konnte. Auf dem Stein war ein Soldat mit einem merkwürdigen Helm abgebildet. Diese Kopfbedeckung aus alter Zeit hatte Frank allerdings schon einmal irgendwo gesehen und die auf dem Gedenkstein eingravierten Jahreszahlen konnte er
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