Beutewelt 01 - Bürger 1-564398B-278843
auch entziffern: 1941 und 1989.
Der junge Mann ging weiter und betrachtete die verfallene Kirche, die ebenfalls auf diesem Platz stand. Ihr Dach schien stark beschädigt und hatte riesige Löcher, mit Moos und Flechten überzogene Ziegel lagen vor ihrer hölzernen, morschen Eingangstür, die mit einem kaum noch erkennbaren Muster verziert war. Auf ihrem Turm befand sich ein verrostetes Kreuz aus Eisen.
Vermutlich war das geflügelte Ding, dessen Kopf vollkommen mit Flechten überwuchert war, einmal ein Engel gewesen, der die Menschen beim Eintritt in die Kirche symbolisch begrüßt haben musste. Aber in einer Welt, die Gott scheinbar nicht mehr sonderlich interessierte, hatte wohl auch der Engel eines Tages seinen „Job“ verloren.
Frank schob die große Holztür auf und stieg über ein paar Bohlen, um ins Innere der alten Kirche zu gelangen. Vertrocknete Blätter, Dreck und Staub befanden sich hier überall auf dem Boden. Die Sitzbänke der alten Kirche waren schmutzig und niemand schien hier mehr seit mehreren Jahren gewesen zu sein. Der Altar war leicht beschädigt und hatte kleine Risse und Sprünge, wahrscheinlich durch die Kälte eines harten Winters.
Der Besucher drehte den Kopf nach oben und musterte die hölzernen Fresken an den Wänden, die zum größten Teil auch schon Spuren der Verwitterung zeigten. Auch hier wurden Engel dargestellt, die gegen seltsame Dämonen oder ähnliches kämpften, Kreaturen der Hölle. Andere Fresken zeigten die Mutter Maria und Jesus Christus.
„Den Superstar des Christentums.“ dachte sich Frank und setzte ein zynisches Grinsen auf.
Die Kirche wirkte alt und irgendwie auch erhaben. Und sie stand wohl auch nicht erst seit gestern hier, vielleicht war sie noch aus dem späten Mittelalter — aber von solchen Dingen hatte Frank keine Ahnung, über Geschichtliches wusste er fast nichts.
Es spielte aber auch keine Rolle. Irgendetwas in dieser Kirche löste Respekt in ihm aus, obwohl er eigentlich bisher an nichts geglaubt hatte. Vielleicht nur, weil sie im Grunde schön und alt war. In seiner bisherigen Welt hatte er so etwas noch nie gesehen. Graue Wohnblöcke, schmutzige Strassen, Unterführungen und Fabriken waren ihm vertraut, aber eine alte Kirche oder Burg hatte er sich noch nie bewusst angesehen.
Sie wirkte eben wie ein Mahnmal einer vergangenen Zeit, über die die meisten Menschen heute nichts mehr wussten. Die Kirche war vermutlich für lange Zeit das Herz dieses Dorfes gewesen. Hier hatte man zu einer höheren Macht gebetet, den Menschen in dieser Welt nicht alleine zu lassen. Doch letztendlich kam es anders.
Im Jahre 2028 war der Mensch allein und von einer höheren Macht, die ihn angeblich schützen wollte, hatte Frank noch niemals etwas bemerkt.
„Gott, falls es dich überhaupt gibt, warum hast du uns verlassen?“ sagte Frank zu sich selbst und blickte noch eine Weile zur brüchigen Decke des alten Gebäudes. Dann ging er zurück auf den Platz.
Er lief mehrere Stunden durch das trostlose Dorf. Immer wieder von Alfs Haus bis zum anderen Ende und zurück. Um die Ortschaft herum waren Felder und Wälder und nur eine schlammige Zufahrtsstrasse schien es mit dem Rest der Welt zu verbinden. Der junge Mann ließ sich auf einer verwitterten Bank nieder und blickte gen Himmel, als drei kleine Kinder, vermutlich die, die er schon vorher in der Nebenstrasse gehört hatte, an ihm vorbei liefen und ihn kurz musterten. Frank beachtete die kleinen Wesen kaum.
Irgendwo bellte ein Hund in einem Haus, das bewohnt aussah. Er stand auf und trottete weiter an bewohnten und unbewohnten Häusern vorbei. Dieses Dorf, der abtrünnige Weltbürger hatte seinen Namen mittlerweile wieder vergessen, wirkte, obwohl es vielfach verlassen und verfallen aussah, immer noch so, als hätte hier einmal das Leben pulsiert.
Den ebenfalls nicht weniger verrotteten Wohnblöcken und Straßenzügen in der von Armut, ethnischen Unruhen und Kriminalität gebeutelten ehemaligen BRD-Hauptstadt Berlin war es jedenfalls noch vorzuziehen. Und ein paar
Leute waren ja auch wieder da, allerdings wohl kaum die ursprünglichen Erbauer dieser Ortschaft.
„Ivas!“ jetzt fiel Frank der Name des Ortes wieder ein. Alf hatte ihn mehrfach genannt. Ivas, irgendwo im früheren Litauen gelegen. Aber was war das für ein merkwürdiges Dorf? Frank Kohlhaas rätselte vor sich hin.
Mittlerweile war er müde und seine Schuhe waren völlig mit Schlamm bedeckt. Er beschloss, wieder zu Alfs Haus zurückzukehren, denn
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