Beutewelt 04 - Die Gegenrevolution
betrachteten die Entwicklung mittlerweile mit Verärgerung und Sorge.
Mitte August führten Tschistokjows Anhänger eine Reihe weiterer Kundgebungen in der Innenstadt durch. Sie waren spontan organisiert und lösten sich nach kurzer Zeit wieder auf, was dazu führte, dass die Gegenangriffe der KVSG weitgehend ins Leere liefen. Die Kollektivisten reagierten daraufhin mit dem üblichen Terror und verübten am 16. August einen Mordanschlag auf Juri Lebed. Dem Leiter der St. Petersburger Ortsgruppe wurde nach einem Kinobesuch von einigen seiner politischen Gegner an einer U-Bahn-Station aufgelauert und er wurde niedergestochen. Allerdings überlebte der zähe Mann die Attacke, auch wenn er lange im Krankenhaus bleiben musste.
Seine Mitstreiter tobten und schlugen nun mit brutaler Gewalt zurück. Sie überfielen eine Gruppe Kollektivisten nach einem KVSG-Treffen und schlugen sie zusammen.
Die Anhänger Solotos rächten sich wiederum mit der Ermordung eines Unterführers der Rus in der folgenden Woche. Tschistokjows Männer passten im Gegenzug einen KVSG-Funktionär vor seiner Wohnung ab und töteten ihn mit einem Kopfschuss.
So tobte den gesamten August über ein blutiger Kleinkrieg in den Straßen St. Petersburgs. Trotzdem schlugen sich immer mehr Bürger der Großstadt auf die Seite der Freiheitsbewegung. Am 29. August sprach Artur Tschistokjow vor einigen Tausend St. Petersburgern in einer alten Festhalle am Stadtrand, einen Tag später führte er eine ähnliche Veranstaltung am anderen Ende der Metropole durch. Die Stimmung veränderte sich langsam Schritt für Schritt zu seinen Gunsten.
Der Konferenzsaal im Minsker Hotel „Himmelblick“ war bis auf den letzten Platz gefüllt. Etwa 500 Personen hatten sich heute hier versammelt, zahlreiche Gruppenleiter der Freiheitsbewegung waren gekommen, weiterhin die Offiziere und Kommandeure der weißrussischen und baltischen Streitkräfte. Frank und Alfred saßen ganz vorne. Hinter ihrem Rücken tuschelten einige Russen in grauen Hemden und warteten auf die Ankunft des Präsidenten. Die große Halle war über und über mit Drachenkopffahnen behängt. Riesige Flaggen hingen an den Seiten des Raumes von der Decke herab und einige Dutzend uniformierte Männer der Ordnertruppe standen ebenfalls mit Fahnen in den Händen am Eingang Spalier.
Hinter der großen Bühne, am anderen Ende des Saales, waren eine überdimensionale Drachenkopf- und eine Russlandfahne angebracht worden. Darunter befand sich ein großes Transparent mit der Aufschrift: „Sieg durch Beharrlichkeit! Russland wird leben!“
Als Artur Tschistokjow endlich die Halle betrat, wurde er von lautem Jubel begrüßt. Freundlich lächelnd schritt er langsam zum Podium, stellte sich hinter das ebenfalls mit dem Symbol der Freiheitsbewegung verzierte Rednerpult und begann mit seinen Ausführungen:
„Meine lieben Mitstreiter!
Der nächste Monat soll in St. Petersburg die Entscheidung bringen. Ich habe beschlossen, die riesige Stadt endgültig zu besetzen und unsere Chance, die Oberhand zu gewinnen, ist realistisch!
Unsere Feinde sind zurzeit durcheinander und müssen sich erst einmal wieder sammeln. Das gilt es auszunutzen! Wir müssen schnell handeln, bevor sie ihre Position wieder ausbauen können.
Wir werden bis Ende September die größte Werbeaktion in der Geschichte unserer Organisation durchführen und dann schlagen wir zu. Ich habe mich entschlossen, einen Großteil unserer Kräfte auf St. Petersburg zu konzentrieren.
Einheiten der Volksarmee der Rus, meine bewaffneten Ordnertrupps, die Warägergarde und Abertausende von weiteren Rus müssen mobilisiert werden.
Wir werden die strategisch wichtigen Ziele in der Stadt einnehmen, einen Streik der uns wohlgesonnenen Arbeiter organisieren und dann die Kollektivisten entschlossen angreifen und aus St. Petersburg hinauswerfen. Das Haus der Gerechtigkeit wird eingenommen und auch sämtliche andere Zentren des Feindes. Dieser Schlag muss sitzen und er wird sitzen!“
„Na, dann geht es ja los“, flüsterte Bäumer seinem Freund zu.
„Wir müssen es versuchen“, gab Frank zurück.
Der hagere Politiker am Rednerpult drohte mit seiner knochigen Faust und rief: „Auch auf die Gefahr hin, dass es in Russland zu einem Bürgerkrieg kommen wird, wenn wir die zweitgrößte Stadt des Landes besetzen, will ich es wagen! Wir wollen es wagen!“
„Bürgerkrieg wird es bald ohnehin geben!“, schrie ein älterer Herr durch den Saal.
Ein Haufen russischer Ordner
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